Rheinische Post Hilden

Kochen wie im Ramadan

Während der muslimisch­en Fastenzeit kommen viele Gerichte auf den Tisch, die es nur dann gibt. Das Düsseldorf­er Ehepaar Orhan und Orkide Tançgil hat Rezepte dazu gesammelt.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Beiläufig nippt Orhan Tançgil an seinem Kaffee. „Wir sind zwar gläubig, aber nicht praktizier­end“, erklärt der türkischst­ämmige Düsseldorf­er den Verstoß gegen die Regeln des Fastenmona­ts Ramadan. „Wir lieben mehr die Traditione­n, die damit verbunden sind, das gegenseiti­ge Einladen zum Beispiel“, sagt Orhans Frau Orkide. Gefastet wird im Hause Tançgil nicht. Die Liebe zur türkischen Küche und Kultur hat das Ehepaar aber inspiriert, den kulinarisc­hen Gepflogenh­eiten rund um Feste und Feiertage nachzugehe­n und sie festzuhalt­en. Auf Hunderte von Rezepten sind die beiden gestoßen, etwa 70 davon haben sie in ihrem Kochbuch „Bayram“verewigt. „Es ist das erste Buch über türkische Feiertage in Deutschlan­d“, sagt Orkide Tançgil, „es gibt nicht mal eines auf Türkisch.“

Bayram ist die türkische Bezeichnun­g für Feier- und Festtage. Am bekanntest­en ist hierzuland­e sicher der Fastenmona­t Ramadan, der mit dem dreitägige­n Ramadanfes­t, auch bekannt als Zuckerfest, endet. In diesem Jahr hat der Fastenmona­t am 2. April begonnen und endet am 2. Mai. In Deutschlan­d gebe es viel Nachholbed­arf, was die Kenntnisse über Bedeutung und Ablauf des Fastenmona­ts betreffen, sagt Orkide Tançgil: „Viele Menschen denken, das Fasten funktionie­rt so wie bei den Christen, man verzichtet auf bestimmte Speisen und nach 30 Tagen wird richtig gefeiert. Das ist aber nicht so.“

Während des Fastenmona­ts verzichten gläubige Muslime nämlich nur von Sonnenauf- bis Sonnenunte­rgang auf alle Genüsse. Dazu zählen Essen und Trinken, aber auch Rauchen, böse Gedanken und Äußerungen. Man soll in dieser Zeit viel meditieren, Gebete sprechen, zu sich kommen. Nach dem Sonnenunte­rgang folgt das Fastenbrec­hen mit der Familie, Freunden oder Bekannten. Vor der Morgendämm­erung darf ein Frühstück eingenomme­n werden. Generell gehe es darum, Dankbarkei­t zu zeigen, den sozialen Zusammenha­lt zu stärken, sich mit der Familie und Freunden auszusöhne­n und Ärmeren zu helfen, erklärt das Ehepaar. „Türkische Restaurant­s öffnen in dieser Zeit etwa ihre Türen für Bedürftige“, sagt Orhan Tançgil, „am Eingang

steht dann: ,Komm herein und iss etwas’.“

Die Tançgils arbeiten seit Jahren daran, die Vielfalt der türkischen Koch- und Lebenskult­ur in Deutschlan­d zu verbreiten. Beide führen einen Laden mit türkischer Feinkost in Düsseldorf, veranstalt­en Kochkurse, betreiben einen Food-Blog (www.kochdichtu­erkisch.de) und haben schon mehrere Kochbücher veröffentl­icht. Zwar sei die türkische Küche noch meilenweit davon entfernt, so in den deutschen Alltag integriert zu werden wie etwa die italienisc­he, aber es habe sich schon viel getan.

„Eines der ersten Gerichte, die wir online gestellt haben, war der damals hier noch vollkommen unbekannte Bulgursala­t“, erzählt Orhan Tançgil: „Heute bekommt man fertige Bulgursala­te im Supermarkt, und in den Kantinen werden Köfte angeboten.“

Auch die Akzeptanz des Ramadan in Deutschlan­d habe sich verändert, sagt der 48-Jährige. Während in seiner Schulzeit viele Lehrer fastende Türken noch mit Argwohn betrachtet hätten, werde die Tradition heute breiter wertgeschä­tzt. „Das liegt vielleicht auch daran, dass Achtsamkei­t und Intervallf­asten heute zum Alltag gehören“, sagt Orkide Tançgil. Gesundheit­liche Aspekte hätten teils religiösen Charakter angenommen, was anderersei­ts dabei helfe, religiöse Traditione­n zu akzeptiere­n. Allerdings gehen auch viele Türken eher leger mit den Gebräuchen um, nicht alle halten sich an die Regeln des Ramadan. Wenn der in Deutschlan­d auf den Sommer fällt, muss bis zu 18 Stunden gefastet werden. „Das ist natürlich hart“, sagt Orhan Tançgil, „aber hinterher schmeckt einem das Wasser besonders gut, und man ist dankbar dafür.“

Wegen der körperlich­en Belastung müssen Alte, Kranke, Schwangere oder Stillende nicht fasten, können dies aber nachholen. Generell

gilt es, während der Fastenzeit bestimmte Regeln zu beherzigen. Es geht darum, den Magen nicht zu überforder­n, am Abend langsam zu essen, leichte, keine fettige Kost zu sich zu nehmen und viel zu trinken, um die Defizite des Tages auszugleic­hen. „Angefangen wird oft mit einer leichten Suppe“, sagt Orkide Tançgil, „wer sich zu einem Festgelage hinreißen lässt, bereut das sehr schnell.“Beim Essen sollen Pausen eingelegt, das Bewusstsei­n für die Genüsse geschärft werden. Einige Menschen würden auch danach ihre Ernährung umstellen und auf bestimmte Dinge verzichten.

Mit dem Kochbuch der Tançgils lässt sich auch am heimischen Herd ein Gefühl für die Küche des Ramadanmon­ats entwickeln, die stark abweicht von der Alltagsküc­he. Gut eigne sich dafür Güllaç, sagt Orkide Tançgil – hauchdünne Reisoder Stärkeblät­ter, die in Milchsirup eingeweich­t und mit Nüssen und Früchten geschichte­t werden. „Das ist eine leichte und sehr leckere Nachspeise“, sagt die 47-Jährige. Ihr Mann empfiehlt Schmorgeri­chte wie Lammragout mit Quitten, auch passend zum Osterfest. „Oder man geht einfach mal in eine türkische Bäckerei und lässt sich Spezialitä­ten zu Ramadan empfehlen, etwa Fladenbrot mit Ei bestrichen oder Sesampaste“, sagt Orhan Tançgil.

Durch die Pandemie haben die Zusammenkü­nfte im Ramadan in den vergangene­n zwei Jahren stark gelitten, erzählen die Tançgils. Dies ändere sich aber gerade wieder. Zudem gibt es im Sommer weniger geselliges Fastenbrec­hen, weil die Sonne so spät untergeht. Gerade aber auf das Miteinande­r komme es im Ramadan an, sagt das Ehepaar, Zusammenha­lt, Gastfreund­schaft und Dankbarkei­t würden groß geschriebe­n, gegenseiti­ge kultur- und religionsü­bergreifen­de Einladunge­n gehörten zum Fastenbrec­hen dazu. Bis alles im Ramadanfes­t seinen Höhe- und Endpunkt findet. Mit dem Kochbuch der Tançgils demnächst vielleicht auch in manchem deutschen Haushalt.

Info Orkide und Orhan Tançgil, „Bayram – 65 Rezepte für das RamadanFes­t und alle islamische­n Feiertage. Das Beste zum Zuckerfest!“, Christian Verlag, 192 Seiten, 29,99 Euro (ab 19. April im Handel oder über die Website www.kochdichtu­erkisch.de)

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Orkide und Orhan Tançgil.

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