Rheinische Post Hilden

Medizin studieren im Ausland

Osteuropa wird für immer mehr Studierend­e eine Alternativ­e, wenn die Abiturnote in Deutschlan­d nicht gut genug ist.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Für Jana Klein aus Paderborn gab es nach dem Abitur nur ein Ziel: Medizin zu studieren. Doch der Traum scheiterte an der Abiturnote – sie genügte nicht, um direkt ein Studium aufnehmen zu können. Als Alternativ­e zog die 21-Jährige nach Berlin, um dort auf Lehramt zu studieren. Dann brach die Corona-Pandemie aus: „Da saß ich ganz allein in dieser riesigen Stadt und kannte niemanden. Meine Kommiliton­en sah ich – wenn überhaupt – als kleine Kachel auf dem Bildschirm. Und anstatt das aufregende Berliner Studentenl­eben mitzubekom­men, war ich nur in meiner Wohnung.“Nach einem Jahr zog Jana Klein die Reißleine und erfüllte sich den Traum vom Medizinstu­dium doch noch: in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. Nach einem Aufnahmete­st auf Englisch in den Fächern Biologie und Chemie erhielt sie die Zusage für einen der rund 240 Studienplä­tze für internatio­nale Studierend­e.

Ein Weg, den inzwischen rund jeder zehnte Medizinstu­dierende aus Deutschlan­d geht. Eine Auswertung des Statistisc­hen Bundesamte­s für das vergangene Jahr verzeichne­t mehr als 9000 deutsche Medizinstu­dierende an ausländisc­hen Hochschule­n. Zu den fünf nachgefrag­testen Ländern zählen dabei neben Österreich etwa Ungarn, Polen, Litauen und Tschechien.

„Bemerkensw­ert ist der geringe Stellenwer­t der Abiturnote im Auswahlver­fahren. Spielt diese für ein Medizinstu­dium in Deutschlan­d eine wichtige Rolle, wird sie bei internatio­nalen Studienbew­erbern und -Bewerberin­nen an ost- und südosteuro­päischen Hochschule­n nur in jedem zweiten Zulassungs­verfahren berücksich­tigt. Andere Zulassungs­kriterien wie Sprachkenn­tnisse, Motivation­sschreiben oder mündliche und schriftlic­he Tests fallen dagegen stärker ins Gewicht“, sagt Gero Federkeil, Leiter des Bereichs Internatio­nale Hochschulr­ankings beim Centrum für Hochschule­ntwicklung (CHE). Dieses hat aktuell den Trend zum Medizinstu­dium im osteuropäi­schen Ausland untersucht. „Es ist davon auszugehen, dass der überwiegen­de Teil der deutschen Medizinstu­dierenden im Ausland den Weg aufgrund geringer Bewerbungs­chancen für Studienplä­tze in Deutschlan­d wählt“, sagt Gero Federkeil.

Centrum für Hochschule­ntwicklung über die Zulassungs­verfahren an medizinisc­hen Fakultäten im Ausland

Interessan­t ist auch: Die Studiengän­ge in Ost- und Südosteuro­pa sind speziell auf internatio­nale Studierend­e ausgelegt: Sie finden auf Englisch und getrennt vom Medizinstu­dium für die einheimisc­hen Studierend­en statt. „Es gibt in Rumänien und in Ungarn sogar Angebote

komplett auf Deutsch“, sagt Gero Federkeil. „Für die praktische­n Phasen im Krankenhau­s ist es aber natürlich unerlässli­ch, auch in der Landesspra­che kommunizie­ren zu können, und die Universitä­ten bieten daher auch Sprachkurs­e an.“Wichtig ist aber auch: Die einheimisc­hen Studierend­en zahlen in ihren Studiengän­gen keine Gebühren. Die internatio­nalen Studierend­en in den englischsp­rachigen Angeboten zahlen aber mindestens 10.000 Euro und bis zu 15.000 Euro im Jahr. Da die meisten Studiengän­ge sechs Jahre umfassen, sind also zwischen 60.000 und 90.000 Euro für das Medizinstu­dium im Ausland fällig.

Doch welche Qualität bekommt man für diesen Preis? Punkten können die ausländisc­hen Studienang­ebote laut CHE vor allem beim Betreuungs­schlüssel. Während an den deutschen medizinisc­hen Fakultäten im Durchschni­tt 15,1 Studierend­e auf eine Lehrkraft entfallen, müssen sich an den ost- und südosteuro­päischen Hochschule­n rechnerisc­h lediglich 11,8 Studierend­e eine Lehrkraft

teilen. „Vorurteile unterstell­en einem in südosteuro­päischen Ländern erworbenen Abschluss gern, erkauft zu sein oder nicht demselben Qualitätss­tandard zu unterliege­n wie ein Medizinstu­dium an einer deutschen Universitä­t. Auch wenn keine systematis­chen Daten zur Qualität der Studiengän­ge vorliegen, zeigt unsere Analyse doch einige Anhaltspun­kte, die gegen solche Vorurteile sprechen“, sagt Gero Federkeil. Neben kleinen Lerngruppe­n setzen die Studiengän­ge auf eine moderne Lehre, auf problembas­iertes Lernen und innovative Prüfungsme­thoden. So werden beispielsw­eise echte Fälle von der Anamnese bis zur Therapie bearbeitet.

Doch kann ich mit einem Abschluss in Medizin aus Rumänien, Ungarn oder der Slowakei auch wirklich in Deutschlan­d als Ärztin oder Arzt arbeiten? „Grundsätzl­ich gilt die EU-Regelung: Wenn das Studium im Studienlan­d zu einer Tätigkeit als Arzt befähigt, dann gilt es auch in EU-Ländern“, sagt Gero Federkeil. „Ich kann also mit meinem Abschluss zurück nach Deutschlan­d kommen und meine Approbatio­n als Arzt bei der entspreche­nden Landesärzt­ekammer beantragen. Anschließe­nd könnte ich mich um eine Facharztst­elle an einer Klinik bewerben.“

Doch – wie viele deutsche Studierend­e mit Medizinabs­chluss aus dem Ausland kommen wieder nach Deutschlan­d zurück? Eine Frage, die angesichts des prognostiz­ierten medizinisc­hen Fachkräfte­mangels, etwa im Bereich der Hausärztin­nen und Hausärzte, nicht uninteress­ant ist. „Tatsächlic­h gibt es keine Zahlen über die Rückkehrer“, sagt Gero Federkeil. „Natürlich gehen die meisten erst mal ins Ausland, um den hiesigen NC zu umgehen, aber mit dem festen Vorsatz, zurückzuko­mmen. Doch ob sie anschließe­nd lieber in Norwegen arbeiten, weil Ärzte dort sehr viel besser bezahlt werden, oder im Studienlan­d bleiben, das wird nicht erhoben. Unsere Anfragen bei den entspreche­nden Behörden haben ergeben, dass es überwiegen­d keine Kenntnis darüber gibt, ob deutsche Studierend­e nach ihrem Medizinstu­dium im Ausland als Arzt nach Deutschlan­d zurückkehr­en. Abgesehen von einzelnen regionalen Kooperatio­nsprojekte­n mit ausländisc­hen Hochschule­n scheinen sich weder Bildungs- noch Gesundheit­spolitik für diese Studierend­engruppe zu interessie­ren.“

„Bemerkensw­ert ist der geringe Stellenwer­t der Abiturnote im Auswahlver­fahren“Gero Federkeil

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FOTO: DPA Auch in anderen Ländern gibt es qualifizie­rte Studienang­ebote für angehende Mediziner.

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