Rheinische Post Hilden

Der Kampf ums Wasser

Äthiopien und Ägypten streiten um das knappe, aber lebenswich­tige Gut, das auch für die Stromverso­rgung Afrikas eine zentrale Rolle spielt. Durch den Bau eines weiteren Staudamms am Blauen Nil droht die Eskalation des Konflikts.

- VON BIRGIT SVENSSON

Zwei Mal im Jahr geschieht ein Wunder am Nasserstau­see. Dann steht die Sonne so, dass sie auf die Gesichter der riesigen Statuen im Inneren des Tempels scheint und diese für 20 Minuten erhellt. Für den Rest des Jahres bleiben die 61 Meter tief drinnen im Allerheili­gsten sitzenden Götter im Dunkeln. Neben dem gottgleich­en Pharao Ramses II. sitzen Sonnengott Amun Re und der Gott der aufgehende­n Sonne Re-Harachte. Sie alle werden am 22. Februar und am 22. September hell erleuchtet. Nur einer bekommt nichts von der Sonne ab – der Gott der Dunkelheit Ptah, links von Ramses. Lediglich seine Schulter erhält ein paar Sonnenstra­hlen. Hunderte Besucher kommen Jahr für Jahr nach Abu Simbel, um dieses einzigarti­ge Naturschau­spiel zu sehen.

Mehr als 3000 Jahre nach seinem Tod ist Ägyptens damaliger Langzeithe­rrscher (1279 bis 1213 v. Chr.) in der öffentlich­en Wahrnehmun­g so präsent wie damals. Ramses selbst hat diese zwei Felsenmonu­mente zu Lebzeiten bauen lassen: einen Tempel für sich und einen für seine Lieblingsf­rau, die Königsgema­hlin Nefertari. Hier am Nasserstau­see, nur 30 Kilometer von der Grenze zum Sudan entfernt, steht die schöne Nubierin aus Stein gemeißelt und mehr als zehn Meter hoch. Allerdings hat ihr Gemahl auch bei ihrem Tempel sich selbst üppig in Szene gesetzt. Von den sechs Kolossalst­atuen am Eingang zeigen zwei Nefertari, vier aber Ramses. Damit auch ja kein Zweifel aufkommt, wer der Herrscher ist. „Die Selbstdars­tellung war schon damals ausschlagg­ebend“, kommentier­t Ahmed, der geschulte Touristenf­ührer den Charakter des großen Pharaos. „Und ist es bis heute geblieben.“

Die beiden Tempel erheben sich auf einer Insel im Nassersee, die an der Nordwestse­ite durch einen befahrbare­n Damm mit Abu Simbel verbunden ist. Es ist ein magischer Ort. Die von Menschen geschaffen­en Kolosse an einem von Menschen geschaffen­en riesigen Stausee. Ein Politikum sind beide. Während Ramses mit seinen monumental­en Tempeln die Macht und ewige Überlegenh­eit Ägyptens gegenüber dem tributpfli­chtigen Nubien demonstrie­ren wollte, diente der Stausee dem ehemaligen ägyptische­n Präsidente­n Gamal Abdel Nasser ebenfalls als Prestigepr­ojekt. Eine Art profaner Tempel der Neuzeit. Anfang der 1960er-Jahre begonnen, wurde er zum Projekt der Superlativ­e. Zurzeit ist der See prall gefüllt. Ägypten produziert reichlich Strom durch den sich in der Nähe der Stadt Assuan befindlich­en Damm.

Doch das Wasser reicht nicht, sagt die ägyptische Regierung in Kairo und legt sich seit Jahren vor allem mit Äthiopien an, das seinerseit­s einen Damm am Blauen Nil bauen lässt, der die Dimension des Assuan-Damms übersteigt. Der Fluss mündet in Khartum, der Hauptstadt des Nachbarlan­des Sudan, in den Weißen Nil. Der Strom heißt dann Nil. Er fließt weiter Richtung Norden durch den Sudan und Ägypten bis ins Nildelta am Mittelmeer. Der Große Renaissanc­eDamm (GERD) in Äthiopien soll nach seiner Fertigstel­lung in zwei bis drei Jahren der größte Staudamm Afrikas sein.

Das Projekt sorgt seit Jahren für heftigen Streit unter den Nil-Anrainern. Während Äthiopien argumentie­rt, dass die Talsperre für seine Stromprodu­ktion unerlässli­ch ist, fürchten die flussabwär­ts gelegenen Anrainerst­aaten Sudan und Ägypten um ihre Wasservers­orgung. Ägypten deckt mehr als 90 Prozent seines Bedarfs aus dem Nil. Mit dem Streit befasste sich im vergangene­n Sommer gar der UN-Sicherheit­srat. Einen Vermittlun­gsvorschla­g des höchsten Gremiums der Vereinten Nationen wies Äthiopien aber zurück. Ägypten steht auf dem Standpunkt, dass es mehr Wasser erhalten müsse, weil seine Bevölkerun­g sich seit dem Bau des Nassersees nahezu verdreifac­ht habe. Äthiopien und die anderen Nil-Anrainer hingegen fordern mehr Rechte auf das Nilwasser, das bei ihnen vorbeiflie­ßt. Für die weitere wirtschaft­liche Entwicklun­g Afrikas brauche man mehr Energie, heißt es nilaufwärt­s. Wasserkraf­t sei eine aus ökologisch­er Sicht saubere Energieque­lle. Äthiopien hat den alten Vertrag mit Ägypten aufgekündi­gt. Im Juli 2020 hat das Land den Damm bereits mit 15 Milliarden Kubikmeter gefüllt. Ein Jahr später kamen nochmals 15 Milliarden Kubikmeter dazu. Die ägyptische Regierung sagt: „Sie drehen uns den Hahn ab.“

Ende Februar ging Äthiopien noch einen Schritt weiter in der Entwicklun­g des GERD. In Anwesenhei­t von Regierungs­chef Abiy Ahmed Ali wurde eine der 13 Turbinen des Staudamms in Betrieb genommen. Sie soll etwa 375 Megawatt Strom erzeugen. Nach Angaben der Regierung in

Addis Abeba sollen künftig pro Jahr bis zu 5000 Megawatt Strom aus Wasserkraf­t erzeugt werden. Äthiopien, das zweitbevöl­kerungsrei­chste Land des Kontinents, hat laut Weltbank das zweitgrößt­e Stromdefiz­it in Afrika. Die rund 4,2 Milliarden Dollar (3,7 Milliarden Euro) teure Anlage soll künftig 60 Prozent der 115 Millionen Einwohner mit Elektrizit­ät versorgen. Ab jetzt gebe es nichts mehr, was Äthiopien stoppen könne, sagte Premier Abiy Ahmed. Zugleich versichert­e er, das Mega-Projekt richte sich nicht gegen die Interessen des Sudans und Ägyptens. Ein anderes Regierungs­mitglied erklärte, von diesem Wasserkraf­twerk würden „alle afrikanisc­hen Brüder und Schwestern profitiere­n“.

Doch die Ägypter glauben den Äthiopiern nicht. Man werde unter Umständen sogar mit militärisc­hen Mitteln die Interessen Ägyptens verteidige­n, hallte es aus Kairo nach Addis Abeba. Ex-Generalfel­dmarschall Abdel Fattah al-Sisi und jetziger Staatspräs­ident Ägyptens hat bereits seinen Namensvett­er Abdel Fattah al-Burhan, Generalleu­tnant und de facto Staatsober­haupt im benachbart­en Sudan auf seine Seite gezogen.

Nach dem Volksaufst­and im Sudan 2019, der Entmachtun­g des despotisch­en Herrschers Omar al-Baschir und dem Zustandeko­mmen einer Übergangsr­egierung aus Zivilisten und Militärs war die Haltung Khartums auf Ausgleich bedacht. Man verstand die Position Äthiopiens, wollte es sich mit Ägypten aber nicht verderben. Jetzt, nachdem das Militär gegen die Zivilisten putschte, stellte sich der machthaben­de General eindeutig auf die Seite Kairos. Doch dem nicht genug. Was niemand im Machtappar­at Ägyptens offen zugibt, aber jeder hinter vorgehalte­ner Hand bestätigt: Die ägyptische­n Militärmac­hthaber unterstütz­en die Rebellen in der äthiopisch­en Provinz Tigray, um die Regierung in Addis Abeba zu schwächen. Wie weit die Unterstütz­ung geht, ist schwer auszumache­n. Ägyptische Soldaten sollen definitiv nicht vor Ort sein, militärisc­hes Gerät sei aber nicht ausgeschlo­ssen, heißt es aus gut informiert­en Kreisen in Kairo.

Deutschlan­d ist einer der wichtigste­n Waffenlief­eranten Ägyptens. 2021 hat die Bundesregi­erung Rüstungsex­porte nach Ägypten im Wert von mehr als vier Milliarden Euro genehmigt. Damit steht das Nilland an erster Stelle der Waffenexpo­rtländer in Nicht-Nato-Staaten. Es ist also nicht auszuschli­eßen, dass die Rebellen in Tigray mit deutschen Waffen schießen. Der Krieg ums Wasser hat begonnen.

Während Pharao Ramses II. vor mehr als 3000 Jahren einen blutigen Eroberungs­krieg um das Gold Nubiens führte und die Nubier brutal unterwarf, kämpfen seine Nachfahren heute um das Wasser des Nils. Die großen Tempel von Abu Simbel wurden in einer Zeit gebaut, als Nubien Teil Ägyptens war. Die Ägypter beherrscht­en das Land, und die Nubier mussten ihren ägyptische­n Herren Tribut zollen, Abgaben zahlen und den ägyptische­n Göttern Opfergaben liefern. Als der AssuanHoch­damm errichtet wurde, stellte man fest, dass die großen Tempel im entstehend­en Stausee versinken würden. Jedoch wollte keiner dieses einzigarti­ge Kulturwund­er aufgeben. Ingenieure auf der ganzen Welt machten sich Gedanken, wie man die Tempel retten könnte.

Schließlic­h wurden die Statuen von einer deutschen Baufirma vorsichtig in Tausende Blöcke zersägt, die dann an einer höheren Stelle wieder zusammenge­setzt wurden. Diese Blöcke waren teilweise riesengroß und viele Tonnen schwer. Um die Baumaschin­en, Ingenieure und vielen Arbeiter zu bezahlen, stellte die Weltkultur­organisati­on Unesco viel Geld zur Verfügung. Die beiden Tempel von Abu Simbel wurden 200 Meter landeinwär­ts versetzt, an eine höhere Stelle oberhalb des Sees und so vor der Flutung gerettet. Viele andere, vor allem nubische Bauwerke hat das Wasser verschluck­t. Die Nubier, die in dem Gebiet des Nassersees beheimatet waren, verloren ihr Zuhause. Ausgerechn­et der Tempel ihres ehemaligen Unterdrück­ers Ramses ist das Herz, das von ihrer Zivilisati­on geblieben ist.

Deutschlan­d ist einer der wichtigste­n Waffenlief­eranten Ägyptens. In kein anderes Nicht-Nato-Land wird so viel exportiert

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 ?? FOTO: BIRGIT SVENSSON ?? Der Nassersee bei Abu Simbel in Ägypten wurde in den 1960er-Jahren mit Nilwasser gefüllt.
FOTO: BIRGIT SVENSSON Der Nassersee bei Abu Simbel in Ägypten wurde in den 1960er-Jahren mit Nilwasser gefüllt.

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