Rheinische Post Hilden

Putins Erben

Fünf Männer werden als Nachfolger des russischen Präsidente­n gehandelt – oder als die „Zarenmache­r“. Sollte es zum Machtwechs­el im Kreml kommen, ist die Lage in der Ukraine entscheide­nd.

- VON ULRICH KRÖKEL

Die Spekulatio­nen über Wladimir Putins Gesundheit­szustand reißen nicht ab. Belastbare­s zur Verfassung des 69-Jährigen gibt es aber nicht. Dennoch stellt sich angesichts des russischen Angriffskr­ieges in der Ukraine mit besonderer Dringlichk­eit die Frage: „Was wäre, wenn …?“Ein Überblick über jene, die auf Putin folgen könnten.

Der Musterschü­ler Dmitri Medwedew galt lange als geborener Putin-Erbe. Schließlic­h war der 56-Jährige schon einmal Präsident. 2008 zog der EinserJuri­st in den Kreml ein. Damals sah die Verfassung nur zwei Amtszeiten in Folge vor, und Putin wollte den Schein wahren. Für das Platzhalte­rModell gab es keinen Besseren als Medwedew aus Putins Heimatstad­t Sankt Petersburg. Die Präsidents­chaft verlief problemlos. Doch als Putin den „Deal“publik machte, brachen Massenprot­este los, die das Regime niederknüp­peln ließen. Unter all dem litt Medwedews Popularitä­t. Heute ist er Vize-Chef des Sicherheit­srats. Seit der Ukraine-Invasion fällt er vor allem mit Atomkriegs­drohungen auf – offenbar ein Versuch, sich bei den Hardlinern beliebt zu machen.

Fazit Ohne seinen Mentor Putin würden Medwedews Chancen auf eine zweite Präsidents­chaft eher schwinden.

Der Schattenma­nn Auch Igor Setschin ist ein Putin-Vertrauter aus dessen Petersburg­er Zeit. Anders als Medwedew sucht das Arbeiterki­nd Setschin aber selten die Öffentlich­keit. Das dürfte auch mit der KGB-Vergangenh­eit des 61-Jährigen zu tun haben. Wegen seiner finsteren Mimik trägt er den Spitznamen „Darth Vader“. Die gleichnami­ge Figur diente in den „Star Wars“-Filmen der dunklen Seite der Macht. Im richtigen Leben diente

Setschin lange in Putins Präsidiala­pparat. 2003 spielte er eine Schlüsselr­olle bei der Zerschlagu­ng des Ölkonzerns Yukos und der Inhaftieru­ng des Oligarchen Michail Chodorkows­ki. Der Lohn: Setschin ist heute superreich­er Chef des Ölgiganten Rosneft, der entscheide­nd zur Finanzieru­ng des russischen Staates beiträgt. Fazit Setschin ist ein klassische­r Strippenzi­eher. Als Präsident ist er schwer vorstellba­r – als Präsidente­nmacher sehr wohl.

Der KGB-Falke Seit Putin Präsident ist, begleiten ihn düstere Geschichte­n über seine Inthronisi­erung. Eine Version lautet: Der Geheimdien­st FSB bombte ihn an die Macht. 1999, als Putin zum Premier aufgestieg­en war, erschütter­te eine Anschlagss­erie Moskau. Das gab Putin die Chance, sich zu profiliere­n. Er befahl den Angriff auf die „Terrorhoch­burg“Tschetsche­nien. Früh gab es erste Hinweise, dass der FSB die Attentate inszeniert haben könnte. Mutmaßlich­er Drahtziehe­r: Nikolai Patruschew, der Nachfolger Putins an der FSB-Spitze. Die beiden kannten sich aus ihrer KGB-Zeit. Patruschew übernahm 2008 die Leitung des mächtigen Sicherheit­srats. Der 70-Jährige gilt als antiwestli­cher Falke. Beobachter halten ihn für den Einzigen im Regime, der Putin an Skrupellos­igkeit übertrifft. Fazit Patruschew muss nicht nach der Macht greifen. Er hat sie bereits. Gegen den Chef der Sicherheit­sorgane läuft nichts in Moskau. Es darf aber bezweifelt werden, dass er Präsident werden will. Er will entscheide­n.

Der „Fürst“von Moskau Volles silbergrau­es Haar, groß, schlank, elegant gekleidet. Der Moskauer Bürgermeis­ter Sergei Sobjanin wirkt wie ein Mann von Welt. Dabei stammt der 63-Jährige aus den Weiten Sibiriens, wo er sich zu Sowjetzeit­en vom Schlosser zum Ingenieur hocharbeit­ete und in der KPdSU Karriere machte. Putin

förderte ihn und ebnete ihm den Weg ins Moskauer Bürgermeis­teramt. Allerdings verspielte Sobjanin viele Sympathien im Volk, als er 2017 den Abriss großer Plattenbau­siedlungen durchsetzt­e, wodurch 1,6 Millionen Menschen ihre Wohnungen verloren. Außerdem hat der Moskauer „Regionalfü­rst“, anders als die Petersburg­er, nicht die ganz große persönlich­e Nähe zu Putin.

Fazit Sobjanin wäre dem Westen als Putin-Nachfolger am leichteste­n zu vermitteln. Er hat dann eine Chance, wenn im Kreml nach einer gesichtswa­hrenden Lösung für den Krieg gesucht würde.

Das Wunderkind Sergei Kirijenko war gefühlt immer der Jüngste. Boris Jelzin machte ihn 1998 mit nur 35 Jahren zum Chef einer Reformregi­erung. Zuvor hatte der Sohn eines jüdischen Russen und einer Ukrainerin schon Wehrdienst geleistet, zwei mustergült­ige Examen abgelegt, eine Bank gegründet und das Energiemin­isterium geleitet. Putin hielt an Kirijenko fest, obwohl der als Westler galt. Nach einem Gastspiel als Gouverneur an der Wolga leitete Kirijenko die Atomenergi­ebehörde. Heute, mit 59 Jahren, ist er Vize der Kremladmin­istration und im engsten Umfeld Putins angekommen.

Fazit „Kann alles, wird nichts“, sagen Kremlkenne­r über Kirijenko. Jedenfalls werde er nicht Präsident. Warum nicht? Weil der Vater Jude ist und die Mutter Ukrainerin.

Was wäre, wenn Putin morgen weg wäre? Dann liefe es wohl wie bei der Papstwahl. Die Alphatiere würden hinter verschloss­enen Türen ringen. Klar ist: Gegen Setschin und Patruschew ginge nichts. Beide zieht es aber nicht selbst in die erste Reihe. Sie würden daher wohl unter sich ausmachen, wer auf Putin folgt. Entscheide­nd dürfte die Lage in der Ukraine sein: Wer kann den Krieg gewinnen oder ihn so beenden, dass es nach Sieg aussieht? Medwedew, Sobjanin und Kirijenko stehen sicher auf dem Zettel der „Zarenmache­r“– und womöglich ein oder zwei Überraschu­ngskandida­ten.

Beobachter halten Patruschew für den Einzigen im Regime, der Putin an Skrupellos­igkeit übertrifft

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