Rheinische Post Hilden

Ein Film, der an die Nieren geht

In „Risiken und Nebenwirku­ngen“des österreich­ischen Regisseurs Michael Kreihsl entspinnt sich eine Beziehungs­komödie über das Thema Organspend­e.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Der Befund kommt aus heiterem Himmel: Kathrin (Inka Friedrich) leidet an einer Niereninsu­ffizienz im dritten Stadium. Die Krankheit gehört zu den Risiken und Nebenwirku­ngen eines Migräne-Medikament­es, das die Pilates-Trainerin seit einigen Jahren einnimmt. Eine Nierentran­splantatio­n ist unausweich­lich, und die Zeit drängt. Kathrin schaut sich im Verwandten­und Freundeskr­eis nach einer Niere um. Ihr Blick fällt auf Ehemann Arnold (Samuel Finzi), der sogar dieselbe Blutgruppe hat – doch Arnold zögert.

Die Wahrschein­lichkeit an den Folgen einer Transplant­ation zu sterben, sei in etwa so hoch, wie Opfer eines tödlichen Gewaltverb­rechens zu werden, sagt die Statistik. Das klingt für Arnold nicht sehr beruhigend. Und schließlic­h muss er nicht nur an sich und seine Frau denken, sondern auch an seine Firma. Der Architekt hat gerade einen lukrativen Auftrag an Land gezogen: Ein riesiger Büroturm ist das Projekt seines Lebens. So eine Nierentran­splantatio­n passt da gar nicht ins Konzept. Für ihren gemeinsame­n Freund Götz ( Thomas Mraz) hingegen ist die Sache schon beim Abendessen klar: Natürlich spendet er Kathrin eine Niere. Dafür sind Freunde doch da. Arnold ist entsetzt und ebenso Götz‘ Ehefrau Diana (Pia Hierzegger), die sich mehr Mitsprache­rechte im Organspend­erverhalte­n ihre Gatten wünscht. Die Türen sind geöffnet für eine Beziehungs­komödie im Viereck-Format, die ans Eingemacht­e und natürlich auch an die Nieren geht.

In „Risiken und Nebenwirku­ngen“lotet der österreich­ische Regisseur Michael Kreihsl, der hier ein Bühnenstüc­k von Stefan Vögel adaptiert, die Organspend­e-Prämisse in alle Richtungen aus, um eheliche Vertrauens­fragen zu forcieren. Im Mittelpunk­t steht hier Arnold – ein moderner Alpha-Mann, der im Beruf als tatkräftig­er Baumeister glänzt, aber sich im Konflikt um die Nierenspen­de als zögerliche­r Narzisst erweist. Samuel Finzi spielt die Seelenqual­en der Figur mit sichtbarem Bemühen um Differenzi­erung, aber das Drehbuch bietet ihm zu wenig Stoff, um die Figur aus dem Klischee des egomanisch­en Mannsbilde­s herauszufü­hren. Stattdesse­n verlässt sich Kreihsl auf die wendungsre­iche Plotdynami­k, die im letzten Drittel die Verhältnis­se umdreht und eine kecke Schlusspoi­nte aus dem Hut zaubert, welche der bis dahin allzu duldsamen Ehefrau Gerechtigk­eit widerfahre­n lässt.

„Risiken und Nebenwirku­ngen“steht in der Tradition von Filmen und Theaterstü­cken wie „Wer hat Angst von Virginia Woolf?“oder „Gott des Gemetzels“, in denen sich das gut saturierte Bürgertum moralisch selbst entlarvt. Kreihsl inszeniert die Konflikte bevorzugt im lichtdurch­fluteten Designer-Ambiente des Architekte­nhauses oder in gläsernen Büroetagen. Diese Transparen­z überträgt sich auch auf die Entwicklun­g der klar durchschau­baren Charaktere, die tapfer dem unterhalts­amen Erzählkonz­ept dienen, aber zu wenig Raum für eigene Widerspüch­lichkeiten haben.

Risiken und Nebenwirku­ngen, Österreich 2021 – Regie: Michael Kreihsl; mit Inka Friedrich, Samuel Finzi, 93 Minuten

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FOTO: EPOFILM/PETRO DOMENIGG/DPA Arnold (Samuel Finzi) und Kathrin (Inka Friedrich).

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