Rheinische Post Hilden

F95 und der deutsch-deutsche Konf likt

Vor 50 Jahren begann die Saison, in der sich Fortuna zum ersten Mal für einen Europapoka­l qualifizie­rte. In einer Serie widmen wir uns den teils skurrilen Umständen des Duells mit DDR-Klub Lok Leipzig im Achtelfina­le.

- VON GERNOT SPECK UND BERND JOLITZ

Das Jahr 1973. Der Bundeskanz­ler hieß Willy Brandt, die beiden deutschen Staaten näherten sich dank des Grundlagen­vertrags an. In der DDR regierte Erich Honecker als Staatsund Parteichef der Sozialisti­schen Einheitspa­rtei (SED). Im Fußball tat sich Wundersame­s: Fortuna Düsseldorf hatte sich dank des dritten Platzes in der vor genau einem halben Jahrhunder­t begonnenen Saison der Fußball-Bundesliga erstmals für den Europapoka­l qualifizie­rt.

Die ersten beiden Runden des Uefa-Cups überstand die Mannschaft von Trainer Heinz Lucas gegen die Dänen von Naestved IF (1:0/2:2) und Admira/Wacker Wien aus Österreich (1:2/3:0). Dann zog die Uefa am 9. November 1973 als Gegner in der dritten Runde ausgerechn­et Lokomotive Leipzig aus der DDR – und die Düsseldorf­er damit zwangsläuf­ig in den innerdeuts­chen Konflikt hinein. Zur Erinnerung: Im Jahr darauf, 1974, sollte die DDR ihre WM-Premiere ausgerechn­et in der Bundesrepu­blik feiern.

Fortunas Offizielle wie Präsident Bruno Recht und Trainer Lucas waren nach der Auslosung bemüht, sich aufs Sportliche zu konzentrie­ren. Lok-Vorstandsm­itglied Heinz Hering gaukelte nach außen hin Normalität vor: „Düsseldorf ist für uns ein Gegner wie jeder andere.“Hinter den Kulissen hörte sich das anders an: „Die Klassensch­lacht wird geschlagen.“Das schrieb ein Oberst der Bezirksver­waltung Leipzig der sogenannte­n „Staatssich­erheit“(„Stasi“) der DDR handschrif­tlich auf seinen Vortragsen­twurf für den Einsatz zum Rückspiel in Leipzig. Minister Erich Mielke hob in seinem Befehl 35/73 „zur Sicherung der Fußball-Europacup-Spiele mit Beteiligun­g von DDR-Mannschaft­en“die „hohe politische Bedeutung“hervor.

Fortuna geriet in den Ost-WestKonfli­kt, ob sie wollte oder nicht. Die Stasi betrieb gewaltigen Aufwand, um Normalität vorzugauke­ln. Um zu verhindern, dass nur ein einziger der rund 1000 „Touristen“, die zum Hinspiel nach Düsseldorf reisten, flüchtete. Um das Rückspiel politisch-operativ abzusicher­n sowie jegliche Provokatio­n im Keim zu ersticken. Davon zeugen Aktenberge im Stasi-Unterlagen-Archiv.

Unsere Redaktion durfte 1001 Seiten in Kopie ansehen und auswerten. Sie stammen aus der Dienststel­le Leipzig des Archivs, das inzwischen im Bundesarch­iv integriert ist. Nach Archiv-Angaben gibt es sogar noch mehr Unterlagen zu den beiden Fußballspi­elen.

Die Dokumente eröffnen – bei aller Vorsicht hinsichtli­ch ihrer Glaubwürdi­gkeit – den Blick in eine an Paranoia grenzende Überwachun­g eines Einsatzes unter dem Titel „Vorstoß I“. Das zeigt sich vor allem beim Rückspiel in Leipzig: Hier gerieten neben den etwa 1150 angemeldet­en Düsseldorf­er Fans auch die knapp 40 westdeutsc­hen Journalist­en, Fortunas Mannschaft und ihre Offizielle­n inklusive eines mitgereist­en SPD-Bundestags­abgeordnet­en aus dem Sauerland sowie das Schiedsric­hter-Gespann und die eigenen DDR-Bürgerinne­n und -Bürger ins Visier.

Sogar die Überwacher sollten sich gegenseiti­g kontrollie­ren. Für die Staatssich­erheit stellten die Uefa-Cup-Partien zwischen F95 und Lok Leipzig am 28. November in Düsseldorf (Endstand: 2:1 für Fortuna) und am 12. Dezember 1973 in Sachsen (Lok gewann mit 3:0, Fortuna schied aus) alles andere als eine Spaßverans­taltung dar. Die Stasi stattete ihre Spezialein­satzkräfte mit Scharfschü­tzengewehr­en, Pistolen und Kampfmesse­rn aus.

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