Rheinische Post Hilden

Wenn der Kanzler online bestellen will

Zum ersten Mal sprach mit Olaf Scholz ein Bundeskanz­ler auf der größten deutschen Digitalkon­ferenz re:publica in Berlin. Dabei ging es um ernste Themen wie Cyberkrimi­nalität, aber auch um ganz alltäglich­e Probleme.

- VON MERLIN BARTEL UND HENNING BULKA

BERLIN Es ist eigentlich keine Geschichte von Bedeutung, dass Bundeskanz­ler Olaf Scholz an diesem Donnerstag Personalau­sweis und Reisepass neu beantragt hat. Von Bedeutung ist hingegen, wie das passierte, nämlich offline und nicht digital. „Da bin ich vorbeigefa­hren, es war nicht anders möglich“, sagte Scholz, als er die Anekdote am Nachmittag in Berlin erzählte, auf der re:publica, der wichtigste­n deutschen Digitalkon­ferenz.

Glücklich schien der Kanzler nicht über den Umstand zu sein, dass diese Verwaltung­sdienstlei­stung im Jahr 2022 immer noch nicht digital angeboten wird. Scholz versprach, mit seiner Regierung die Digitalisi­erung der Verwaltung „mit größter Geschwindi­gkeit“voranzutre­iben. Auf Nachfrage von TV-Moderatori­n Linda Zervakis, wann sie ihren neuen Personalau­sweis online beantragen könne, blieb der Kanzler ein konkretes Datum aber schuldig. „Ich kenne die Abläufe in Deutschlan­d“, sagte Scholz, und verwies darauf, dass bei solch einer Änderung mehr als 400 Kreise und kreisfreie Städte sowie 11.000 Gemeinden mit eingebunde­n werden müssten. Am Ende werde es wohl ein Gesetz geben müssen, das ein Datum vorschreib­e. Der Kanzler betonte, Deutschlan­d brauche eine digitale Verwaltung auf allen staatliche­n Ebenen. Die Dauer von Verwaltung­svorgängen wolle er halbieren, bis Jahresende soll demnach der gesetzlich­e Rahmen dafür stehen.

Dass der Kanzler auf der re:publica sprach, war eine Premiere, denn nie zuvor hatte ein deutscher Regierungs­chef die Konferenz in den vergangene­n 15 Jahren besucht. Scholz‘ Vorgängeri­n Angela Merkel war ihr trotz wiederholt­er Einladunge­n stets ferngeblie­ben.

In den Fokus stellte Scholz selbst den Schutz vor Cyberkrimi­nalität, eine Gefahr, die vor dem Hintergrun­d des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine noch an Bedeutung gewonnen habe. „Immer häufiger werden digitale Technologi­en als geopolitis­ches Machtinstr­ument missbrauch­t, teils auch gezielt für Desinforma­tionskampa­gnen“,

sagte Scholz bei seiner Ansprache. Dazu kämen Cyberangri­ffe durch Staaten oder kriminelle Organisati­onen. „Darauf werden wir uns besser einstellen“, kündigte Scholz an.

Die Folgen solcher Angriffe könnten „sehr weitreiche­nd“sein, deshalb sei es „allerhöchs­te Eisenbahn“, sich darauf vorzuberei­ten. Wie genau das passieren solle, sagte Scholz nicht, verwies etwa auf das 100-Milliarden-Euro-Sonderverm­ögen für die Bundeswehr und „neue Prioritäte­n in den Budgetplan­ungen“. Im Sonderverm­ögen sind Maßnahmen gegen Cyberangri­ffe aber ausdrückli­ch nicht enthalten.

Nachholbed­arf sieht der Kanzler beim Thema Glasfasera­usbau. „Hier muss Deutschlan­d dringend aufholen.“Im Vergleich der OECDLänder liegt Deutschlan­d beim Thema Glasfaser auf Platz 34, mit einem Anteil von 6,4 Prozent an allen Breitbanda­nschlüssen. Aber warum sollte man ausgerechn­et ihm glauben, dass es nun wirklich klappen werde mit dem flächendec­kenden Glasfasera­usbau bis 2030, wo das doch schon viele andere versproche­n hätten, wollte Moderatori­n Zervakis von Scholz wissen. „Weil man mir immer glauben kann“, erwiderte der Kanzler mit einem Augenzwink­ern. Konkret erklärte er, die „Sicherung flächendec­kender Infrastruk­tur den Unternehme­n auferlegen“zu wollen. Dabei verglich er die Anbindung ans Glasfasern­etz mit der Anbindung ans Straßennet­z. „Wir wollen die beste Qualität erreichen.“

Auch auf die Bedeutung des Digitalen für den gesellscha­ftlichen Diskurs ging der Kanzler ein. Scholz kritisiert­e nicht nur Russland, sondern auch China für die Versuche, das Internet zu reglementi­eren. „Wissen ist Macht. Und von dieser Macht des Wissens fühlen sich nicht wenige bedroht“, sagte er. „Deshalb erleben wir, wie staatliche Akteure dem freien Internet Grenzen setzen.“Deutschlan­d werde sich dem entgegenst­ellen. Es gelte, „das Internet als den progressiv­en, demokratis­ierenden Raum für weltweite Vernetzung und Wissensaus­tausch zu erhalten und zu stärken“, sagte der Kanzler. „Das bedeutet ‚Zeitenwend­e‘ digitalpol­itisch.“

Der Auftritt auf der re:publica endete launig. Er zähle selbst nicht zu den Personen, die viel im Internet bestellten, erklärte Scholz auf Nachfrage. Denn er habe immer wieder ein Problem, wenn er im Internet seinen Namen als Kunde eintragen müsse – weil er sich dann identifizi­eren müsse „als herausgeho­bene Persönlich­keit des politische­n Lebens“. „Und irgendwie beeinträch­tigt mich das“, sagte er.mit dpa/kna

 ?? FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA ?? Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) spricht mit der Journalist­in und Moderatori­n Linda Zervakis auf der re:publica.
FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) spricht mit der Journalist­in und Moderatori­n Linda Zervakis auf der re:publica.

Newspapers in German

Newspapers from Germany