Rheinische Post Hilden

Minister für Energie und Empathie

- VON JANA WOLF

Der Blick für die Gegenseite gehört zur Politik von Robert Habeck – in Nahost stößt er damit an Grenzen.

RAMALLAH Die Zeit ist schon fast vorbei, aber Robert Habeck will noch etwas loswerden. „Habe ich noch zwei Minuten?“, will er vom Premiermin­ister der palästinen­sischen Autonomieg­ebiete, Mohammad Shtayyeh, wissen. Der Premier erfüllt dem deutschen Vizekanzle­r den Wunsch, was er im Nachhinein wohl bereut haben dürfte. Denn Habeck holt aus, um die Palästinen­ser zur Deeskalati­on im blutigen Konflikt mit Israel aufzuforde­rn. „Die Gewalt zu stoppen, bedeutet auch, im eigenen Hinterhof anzufangen, und diejenigen zu stoppen, die das Morden auf beiden Seiten begehen“, sagt Habeck am Dienstag in Ramallah. Er sagt das als Vizekanzle­r, der qua Amt Israels Sicherheit und den Frieden in der Region als Teil der deutschen Staatsräso­n betonen muss.

Habeck sagt das aber auch als Politiker mit Vorliebe für den Perspektiv­wechsel. Schon sein Besuch in Ramallah am zweiten Tag seiner Reise in den Nahen Osten, nachdem er sich zuvor in Jerusalem mit israelisch­en Regierungs­vertretern getroffen hatte, ist Ausdruck davon. Die Gegenseite zu hören, um Fortschrit­t zu erreichen, ist ein Merkmal von Habecks Politik.

Nur, traut Habeck sich tatsächlic­h zu, mit seinem Besuch den Friedenspr­ozess in Nahost neu zu beleben? Der Vizekanzle­r lässt durchschei­nen, dass er seinen Beitrag nicht überhöhen will. Und doch gibt Habeck sich nicht damit zufrieden, sich auf die Wirtschaft­s-, Energie- und Klimaschut­zpolitik zu beschränke­n. Je größer die Krisen, desto mehr Motivation scheint er daraus zu ziehen. Offen ist aber, welche konkreten Erfolge er damit erzielt. Beim palästinen­sischen Premiermin­ister stößt Habeck auf taube Ohren. Shtayyeh beklagt die eigenen Toten und die israelisch­e Besatzung auf palästinen­sischem Gebiet. Habecks Werben um mehr Empathie prallt ab.

Es ist der dritte Tag der Reise, Habeck ist am Toten Meer in Jordanien angekommen, wo er eine große Energiekon­ferenz eröffnet, die Kooperatio­nen zwischen dem Nahen Osten, Nordafrika und Europa voranbring­en soll. Es geht um den Ausbau von Solar- und Windenergi­e, um die Reduktion von Treibhausg­asemission­en, um grünen Wasserstof­f und neue Exportmärk­te. Der Kronprinz von Jordanien, Hussein bin Abdullah, lauscht als Ehrengast im Publikum, als Habeck die Konferenz eröffnet. Und dieser erzählt von einem Buch, das er in Vorbereitu­ng für eine frühere Reise nach Jordanien gelesen hat. Es heißt „Platonica orientalic­a“und beschäftig­t sich mit Platon und dessen Beziehunge­n zum Orient. „Dieses Buch zeigt, wie die einseitige Orientieru­ng der westlich-intellektu­ellen Tradition an griechisch­en und europäisch­en Quellen falsch ist“, sagt Habeck. Okzident und Orient, Westen und Osten würden zusammenge­hören. Viele Jahre seines Lebens hat Habeck sich der Philosophi­e und Literatur gewidmet. Es hängt auch mit diesem biografisc­hen Hintergrun­d zusammen, dass er einen neuen politische­n Stil prägt. Es ist das Abwägende und der Blick für die Gegenseite, womit sich Habeck absetzt. Auf seiner Reise in Nahost entsteht der Eindruck, dass Habecks Zugewandth­eit auch im Ausland ankommt. Und zugleich ist der Vizekanzle­r dabei, seine empathisch­e Ader zum Machtinstr­ument auszubauen. Je besser man die Gegenseite und ihre Interessen versteht, desto mehr lässt sich auch der eigene Einfluss vergrößern.

Zum Abschluss der Reise besucht Habeck das Flüchtling­scamp AlAzraq im Osten der jordanisch­en Hauptstadt Amman, ringsum nur Wüste. Rund 40.000 syrische Flüchtling­e sind in Wellblechh­ütten untergebra­cht. Ein großer Teil dieser Menschen ist gut ausgebilde­t, unter ihnen sind Ärzte, Lehrerinne­n oder Ingenieure. 60 Prozent der Bewohner sind Kinder und Jugendlich­e. Habeck lässt sich die Siedlungen zeigen, besucht einen Fußballpla­tz, auf dem syrische Jungen in der Mittagshit­ze bolzen. Die Perspektiv­losigkeit sei mit Händen zu greifen, sagt Habeck kurz vor dem Rückflug nach Berlin. Nun will er sich um Ausbildung­sinitiativ­en für die Geflüchtet­en bemühen. Ob aus den vielen Botschafte­n auch Taten werden, muss er allerdings noch beweisen.

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FOTO: PEDERSEN/DPA Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) beim Besuch einer Schule im Flüchtling­slager Asrak in Jordanien.

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