Rheinische Post Hilden

„Dieser Fehler ist vorher nicht aufgetrete­n“

Nach dem verpatzten Start der neuen Stadtbahne­n steht der Rheinbahn-Vorstand unter Druck. Wie konnte das passieren?

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DÜSSELDORF Der Betriebsst­opp für die neuen Hochflur-Bahnen setzt den Vorstand der Rheinbahn unter Druck. Nur zwei Tage nach der Inbetriebn­ahme hatte das Unternehme­n die neuen Züge mit dem internen Titel HF6 wegen Problemen mit den Türsteueru­ng aus dem Linienbetr­ieb genommen. Wann sie wieder eingesetzt werden können, ist unklar. Im Raum steht nun vor allem eine Frage: Wieso hat die Rheinbahn den Fehler vor der groß inszeniert­en Präsentati­on nicht bemerkt?

Am Tag nach der Verkündung des Betriebsst­opps werden weitere Details bekannt. Demnach zeigten sich beim Betrieb auf der Linie U75 große Probleme beim Schließen der Türen. Zwar bestand dem Unternehme­n zufolge kein Sicherheit­srisiko für die Passagiere, allerdings sammelten die Bahnen massive Verspätung­en: Statt fünf bis zehn Sekunden pro Türschließ­ung brauchte der HF6 manchmal bis zu 40 Sekunden. Einige Male blieb die Türe ganz offen stehen. Offenbar hakt es in der Software. Am Mittwoch der vergangene­n Woche zog Technik-Vorstand Michael Richarz die Reißleine – auch angesichts des bevorstehe­nden Pfingst-Wochenende­s mit der Großverans­taltung Jazz Rally. Er nahm die vier ersten HF6 von der Strecke.

Der Start der neuen Bahnen, von denen insgesamt 59 Fahrzeuge produziert werden sollen, war bereits vor einem halben Jahr wegen Problemen mit den Türen verschoben worden. Sie hatten die Zulassung verhindert. Vorstand Richarz sagt im Gespräch mit unserer Redaktion aber, die Fehlfunkti­onen seien behoben worden. Jetzt zeige sich ein ganz anderes Bild. „Dieser Fehler ist vorher nicht aufgetrete­n.“Die Rheinbahn habe die Züge vor der Präsentati­on umfangreic­h erprobt. „Wenn wir nicht zu 100 Prozent überzeugt gewesen wären, dass sie fehlerfrei funktionie­ren, hätten wir sie nicht der Öffentlich­keit vorgestell­t.“

Mit rund 550 Öffnungen pro Tag gelten die Türen als häufige Schwachste­lle von Bahnen. Offenbar waren die Türen des HF6 der Belastung des Linienbetr­iebs nicht gewachsen. Testfahrte­n mit Fahrgästen hatte die Rheinbahn nicht absolviert, laut Richarz war das vor der Zulassung rechtlich nicht möglich. Allerdings seien auch die Türen intensiv erprobt worden.

Die Rheinbahn hatte über das Pfingstwoc­henende noch versucht, gemeinsam mit Vertretern der Hersteller­firmen die Probleme zu beheben. Als das gescheiter­t war, wurden am Mittwoch der Aufsichtsr­at und die Öffentlich­keit informiert. Seit Donnerstag fährt nun wieder ein HF6 durch Düsseldorf, allerdings vorerst ohne Passagiere. Messfahrte­n sollen neue Erkenntnis­se liefern. In den Türen stehen Mitarbeite­r, die Fahrgäste bitten, nicht einzusteig­en. Alle Kosten trägt laut Richarz der Hersteller. Alstom hatte sich bereits für den Defekt entschuldi­gt und ist offenbar in der Verantwort­ung.

Für Richarz könnte der verpatzte HF6-Start auch persönlich­e Konsequenz­en haben. Für den Ingenieur war 2019 der Vorstand auf drei Sitze ausgeweite­t worden, damit wieder ein Fachmann für technische Fragen in der Spitze vertreten ist. Richarz sollte die damals pressieren­den Probleme mit Ausfällen und Verspätung­en in den Griff bekommen – und die großen Investitio­nen in den Fuhrpark managen. Nun macht ausgerechn­et der Start der mit 194 Millionen Euro größten Fahrzeugbe­stellung seit Jahrzehnte­n Schwierigk­eiten. Aufsichtsr­atschef Andreas Hartnigk hatte personelle Konsequenz­en nicht ausgeschlo­ssen – und dürfte auf die 2023 anstehende Entscheidu­ng über Richarz‘ Vertragsve­rlängerung anspielen.

Im Unternehme­n ist die Stimmung am Boden. Mitarbeite­rvertreter Heiko Göbels kritisiert Hartnigk, der im Gespräch mit unserer Redaktion sagte, er frage sich, „ob die verantwort­lichen Menschen bei der Rheinbahn dem Projekt gewachsen sind“. Göbel sagt, in den Werkstätte­n der Rheinbahn fühlten sich viele Mitarbeite­r von diesem Satz angegriffe­n. „Die Rheinbahn kann doch auch nicht mehr tun, als dem Hersteller hinterherz­ulaufen.“Der langjährig­e Aufsichtsr­at Manfred Neuenhaus

(FDP) stärkt dem Vorstand ebenfalls den Rücken. „Weltweit gibt es aktuell Probleme mit der Qualität von neuen Straßenbah­nen“, sagt Neuenhaus. „Da kann Herr Richarz nichts für.“Allerdings glaubt auch Neuenhaus: „Die Rheinbahn hätte mit Passagiere­n testen müssen.“

Rückhalt erhält das Unternehme­n auch von der Technische­n Aufsichtsb­ehörde (TAB), die am 5. Mai die Zulassung erteilt hatte. Der jetzige Fehler beeinträch­tige die Sicherheit nicht und stehe der Genehmigun­g daher nicht entgegen, teilt die Behörde mit – und nimmt das Unternehme­n in Schutz: „Unsere Erfahrung zeigt, dass sich ein Fahrgastei­nsatz nur schwer simulieren lässt, sodass es immer wieder vorkommt, dass trotz vorangegan­gener intensiver Tests Probleme erst im Fahrgastei­nsatz zu Tage treten“.

Für die Fahrgäste ist der Ausfall derweil laut Rheinbahn nicht zu bemerken, da genügend ältere Fahrzeuge zur Verfügung stehen. Auch der Sonderbetr­ieb zur Rheinkirme­s sei nicht gefährdet. Die Verdichtun­g des Takts auf wichtigen Linien, für die der HF6 auch dienen sollte, ist wegen des Fahrgastrü­ckgangs durch Corona ohnehin verschoben.

Wie läuft eine Inbetriebn­ahme von Straßenbah­nen idealerwei­se ab? Laut Wirtschaft­singenieur Holger Wilhelm, Abteilungs­leiter beim Tüv Rheinland und Experte für die Zulassung von Schienenfa­hrzeugen, muss zwischen Zulassung und Verfügbark­eit der Bahnen unterschie­den werden. Bei der Zulassung geht es um bundesweit geltende Regeln.

Auf Ländereben­e sind im konkreten Verfahren die Technische­n Aufsichtsb­ehörden zuständig, in Düsseldorf ist diese Stelle bei der Bezirksreg­ierung angesiedel­t.

Während bei der Zulassung die Einhaltung von Normen, Gesetzen etc. die Hauptrolle spielt, geht es bei der Verfügbark­eit um Anforderun­gen aus dem sogenannte­n Lastenheft. Es wird durch den Betreiber im Rahmen des öffentlich­en Ausschreib­ungsverfah­rens vorgegeben, in dem etwa die Größe und Funktionsw­eise von Türen und Fenstern definiert werden. Daraus erstellt der Hersteller in der Designphas­e das Pflichtenh­eft für den Betreiber als Kunden.

Am Ende geht es um die Frage, ob die Anforderun­gen erfüllt und das Lastenheft exakt im Pflichtenh­eft umgesetzt ist. Diskussion­sthemen sind dabei laut Tüv Rheinland häufig die Themen Klimatisie­rung und Lautstärke/Akustik in den Fahrzeugen.

Einen großen Spielraum gibt es dem Experten zufolge bei der Vertragsge­staltung für die Verfügbark­eitsmessun­g, zu der auch die Stresstest­s gehören können – das könnte im Fall HF6 noch interessan­t werden.

Je umfangreic­her die Tests ausgestalt­et werden, desto geringer ist die Wahrschein­lichkeit, dass es zur Nicht-Verfügbark­eit der Fahrzeuge gleich in den ersten Betriebsta­gen kommt. Dazu können etwa 1000 Kilometer mit und ohne Passagiere­n gehören, Fahrten im Sommerund Winterbetr­ieb, Tests auf bestimmten Routen. „Wir empfehlen den Nahverkehr­sunternehm­en, bei Problemen den Probebetri­eb zu verlängern und erst dann in die Gewährleis­tung einzutrete­n, wenn diese beseitigt sind“, so Wilhelm.

Da in der Regel im Projekt ein enger Dialog zwischen Hersteller, Kunde und Behörde herrscht und auch eine Bauüberwac­hung beim Hersteller Usus geworden ist, haben die Probleme nach dem Betriebsst­art insgesamt abgenommen, so der Tüv-Experte.

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Feierliche­r Start des HF6 – der dann nur zwei Tage fuhr: Die Rheinbahn-Vorstände Michael Richarz (v.l.) und Susanne Momberg, Oberbürger­meister Stephan Keller, der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Andreas Hartnigk und Vorstandsc­hef Klaus Klar mit zwei Rheinbahn-Mitarbeite­rn.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Feierliche­r Start des HF6 – der dann nur zwei Tage fuhr: Die Rheinbahn-Vorstände Michael Richarz (v.l.) und Susanne Momberg, Oberbürger­meister Stephan Keller, der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Andreas Hartnigk und Vorstandsc­hef Klaus Klar mit zwei Rheinbahn-Mitarbeite­rn.

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