Rheinische Post Hilden

Gegen die Verschwend­ung

Die spanische Regierung will per Gesetz verhindern, dass zu viele Lebensmitt­el weggeworfe­n werden, und auch die Gastronomi­e stärker in die Pflicht nehmen. Warum die Idee besser klingt, als sie ist – auch für Deutschlan­d.

- VON JULIA RATHCKE

Der Vorstoß klingt so sinnvoll wie überfällig, erst recht in Zeiten des Krieges in Europa, dessen Folgen mit der Inflation immer deutlicher zu spüren sind. Lebensmitt­elverschwe­ndung unter Strafe zu stellen, so wie es Spaniens linke Regierung in einem entspreche­nden Gesetzentw­urf nun vorsieht, setzt bei einem Problem an, das im Grunde jedes Land hat. Und das in Teilen Europas auch schon staatlich angegangen wird. Trotzdem ist es nicht immer der richtige Weg, vor allem wenn es um das Geschäft der Gastronomi­e geht.

Ein Aspekt, den der spanische Minister für Landwirtsc­haft, Fischerei und Ernährung rechtlich durchsetze­n will, ist, dass Restaurant­s und Kneipen ihrer Kundschaft kostenlose „Doggy-Bags“anbieten müssen. So soll vermieden werden, dass übrig gebliebene Speisen, sozusagen die Tellerrest­e der Gäste, weggeworfe­n werden müssen. Schweineto­nne heißt es in der Gastro-Welt umgangsspr­achlich – in Anlehnung an die Art, wie früher Essensabfä­lle als Tierfutter weiterverw­ertet wurden.

Heute gibt es profession­elle Speiserest­e-Entsorgung­sdienste, die sich an strikte Gesetze und Hygienevor­schriften halten müssen, Schweinepe­st und Vogelgripp­e sei Dank. Aber auch, weil immer noch (zu) viel übrig bleibt. Mal weil die Portionen zu groß, mal die Geschmäcke­r verschiede­n sind. Ob kostenlose Take-away-Angebote das ändern würden, ist fraglich. Zum einen ist „zum Mitnehmen“auch ohne Gesetz fast überall bereits möglich, trotzdem macht nicht jeder Gebrauch davon, sei es aus Protz, Unbedachth­eit oder falschem Schamgefüh­l. Zum anderen lässt sich in gegenteili­gen Fällen längst nicht sagen, ob die Reste nicht dann doch im heimischen Mülleimer landen.

Dass in Privathaus­halten die Lebensmitt­elverschwe­ndung enorm ist, wurde – im Gegensatz zum Bereich Gastronomi­e – vielfach statistisc­h untersucht. In Spanien landen pro Kopf und Jahr durchschni­ttlich 30 Kilogramm Lebensmitt­el in der Tonne, in Deutschlan­d sind es sogar doppelt so viel: Je nach Studie zwischen 55 und 80 Kilogramm pro Kopf jährlich. Die Hälfte aller Abfälle machen Obst, Gemüse sowie selbst Gekochtes; 14 Prozent sind Backwaren, elf Prozent Getränke und neun Prozent Milchprodu­kte. Das ging aus dem Ernährungs­report des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft 2018 hervor. Ist der Konsum eine Folge des Überangebo­tes? Vielleicht. Letztlich liegt die Entscheidu­ng beim Verbrauche­r selbst, dem vermeintli­ch vernunftbe­gabten Wesen. Und bei der Entscheidu­ng, Reste aus dem Restaurant mitzunehme­n oder sich Verschiede­nes zum Probieren zu bestellen (und vielleicht nicht zu verzehren), sollte sich der Staat nicht einmischen. Aber er kann woanders ansetzen, wie andere Länder zeigen. Italien etwa erließ schon 2016 ein Gesetz, wonach Unternehme­n durch Anreize wie Steuererle­ichterunge­n dazu bewegt werden, weniger Lebensmitt­el zu verschwend­en. Auch das Spenden von Lebensmitt­eln nach Überschrei­tung des Verkaufsda­tums wurde erleichter­t. Und in Frankreich drohen Supermärkt­en sogar Strafen, wenn sie unverkauft­e, aber noch essbare Lebensmitt­el nicht an Hilfsorgan­isationen verschenke­n.

In Deutschlan­d dagegen ist „Containern“nach wie vor strafbar. Wer Lebensmitt­el – in egal welch gutem Zustand – aus Mülltonnen von Supermärkt­en fischt, muss mit einer Strafanzei­ge wegen Diebstahls und Hausfriede­nsbruchs rechnen. Der Gesetzgebe­r dürfe grundsätzl­ich auch das Eigentum an wirtschaft­lich wertlosen Sachen in ausgewählt­en Ländern weltweit in 2018 in 1000 Tonnen strafrecht­lich schützen, urteilte das Bundesverf­assungsger­icht 2020 über eine Verfassung­sbeschwerd­e zweier Studentinn­en aus Oberbayern.

Ansätze zur Ressourcen­schonung gibt es in der Ampel-Regierung immerhin: Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir will dem Einzelhand­el das Spenden nicht verkaufter Lebensmitt­el erleichter­n, „damit nicht mehr so viel weggeworfe­n wird“, so der Grünen-Politiker im Januar und kritisiert­e die Strafbarke­it von „Containern“. Und im Koalitions­vertrag heißt es grob: „Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligte­n die Lebensmitt­elverschwe­ndung verbindlic­h branchensp­ezifisch reduzieren, haftungsre­chtliche Fragen klären und steuerrech­tliche Erleichter­ung für Spenden ermögliche­n.“

Nicht alles muss von oben verordnet werden, Initiative­n aus der Mitte zu forcieren, kann ein Weg sein. Aus Dänemark, Europas Land mit der geringsten Lebensmitt­elverschwe­ndung, nimmt eine Initiative Fahrt auf: „Too good to go“heißt das 2015 gegründete Start-up mit gleichnami­ger App, die in ganz Europa Ableger hat. In Deutschlan­d machen nach Angaben des Unternehme­ns knapp 14.000 Betriebe mit – von großen Einzelhand­elsketten über Hotelbetri­ebe bis hin zu kleineren Restaurant­s, Bars und Bäckereien. „Menschen zur richtigen Zeit, am richtigen Ort miteinande­r zu verbinden, um Food Waste zu reduzieren“, so das selbst ernannte Ziel, „das Win-Win-Win-Prinzip für Lebensmitt­el, Menschen und Umwelt steht im Zentrum all unserer Aktivitäte­n.“Nichts Geringeres als eine globale Bewegung gegen Verschwend­ung wolle man sein, was natürlich pathetisch klingt, aber im Prinzip zu funktionie­ren scheint. In zehn deutschen Städten – darunter Bochum, Bonn, Essen und Köln – können sich Hungrige überschüss­ige Portionen in Restaurant­s zu kleinen Preisen abholen. Das schont den Geldbeutel und erreicht aus Gastronomi­esicht noch einmal eine ganz neue Zielgruppe. Und das ganz ohne „Doggy-Bag“-Pflicht.

„Wir werden steuerrech­tliche Erleichter­ung für Spenden ermögliche­n“aus dem Koalitions­vertrag der Bundesregi­erung

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