„Die Kinder sind in Sicherheit“
Der Düsseldorfer Anwalt sorgte in langen Gesprächen dafür, dass sich das Entführerpaar den Behörden stellt
INGO BOTT
DÜSSELDORF Die monatelange Suche nach den zwei deutschen Mädchen in Paraguay ist vorbei. Das wegen Kindesentziehung gesuchte deutsche Auswanderer-Paar hat sich am Donnerstag freiwillig der dortigen Polizei gestellt. Das Pärchen hatte zwei Mädchen, zehn und elf Jahre alt, eines davon aus Essen, entführt. Ende 2021 wurde es gegen den Willen der anderen beiden Elternteile mit nach Südamerika genommen – und war dort in einem für „Querdenker“bekannten Dorf untergetaucht. Der Vater des einen Mädchens und die Mutter des anderen Mädchens sind in zweiter Ehe miteinander verheiratet. Gegen das Paar lag nach Angaben der paraguayischen Staatsanwaltschaft ein über die internationale Polizeibehörde Interpol verbreiteter Haftbefehl vor.
Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Ingo Bott vertritt mit seiner Kanzlei „Plan A“die Interessen der Elternteile, denen die Kinder entzogen worden sind. Er agierte vor Ort in Paraguay als Unterhändler und schaffte es in langen Gesprächen, das Paar dazu zu bringen, sich den Behörden zu stellen.
Herr Bott, wie geht’s den Kindern? BOTT Die Kinder sind in Sicherheit. Das ist das Wichtigste.
Kam es für Sie überraschend, dass das Paar sich am Donnerstag gestellt hat?
BOTT Nein. Ich wusste das schon vorher – die Behörden wussten das auch.
Wann sind die Kinder zurück in Deutschland?
BOTT Die Kinder kommen schnellstmöglich zurück. Und sie sind auch bereit dazu. Auch das Paar ist bereit, nach Deutschland zu kommen; sie wollen sich dem Verfahren stellen. Sie wollen im Wohl der Kinder handeln, und deswegen ist davon auszugehen, dass sie wirklich nach Deutschland zurückkehren. Ich stehe mit dem Paar und allen anderen Beteiligten in ständigem Kontakt.
Haben Ihre Mandanten ihre Kinder schon wieder getroffen?
BOTT Meine Mandanten sind vor Ort. Mehr darf ich nicht sagen. Sie waren aber natürlich überglücklich, als sie die Nachricht gehört haben, dass das Paar sich stellen will. Es war für sie das Ende einer sehr langen Suche. Sie sind erleichtert und können ihr Glück noch gar nicht fassen. Bis zur Normalität ist es für alle Beteiligten – vor allem für die Kinder – aber noch ein langer Weg.
Wie sind Sie an den Fall gekommen?
BOTT Die Eltern suchten nach einem Anwalt, der spezialisiert ist auf komplizierte Fälle; konkret suchten sie nach jemandem, der komplexe Verfahren in den Griff bekommt. Hinzu kommt, dass ich Spanisch spreche und in Südamerika gut vernetzt bin, was wichtig in dem Fall ist.
Wie lief die Zusammenarbeit mit den Behörden in Paraguay ab? BOTT Ich habe mit einem Anwalt dort vor Ort zusammengearbeitet. Er war mit den örtlichen Behörden in Kontakt, ich habe die deutschen Behörden koordiniert. In der letzten Woche bin ich dann aber selbst nach Paraguay geflogen und habe dort mit der Staatsanwaltschaft und der deutschen Botschaft gesprochen, um eine Lösung zu finden.
Wie wurde das Paar aufgespürt? BOTT Die haben sich ja selbst gestellt. Ich habe ihnen einen offenen Brief geschrieben, in dem ich auf sie zugegangen bin – nach dem verstörenden Video, das sie mit den Kindern veröffentlicht hatten. Dass ich ihnen die Hand zur Zusammenarbeit ausgestreckt habe, war ein wichtiges und unerwartetes Zeichen für sie. Für das Paar bekam die Strafverfolgung in meiner Person damit ein Gesicht.
Sie erhielten Hinweise aus der Querdenker-Szene…
BOTT Aus der Richtung kamen ernst zu nehmende Hinweise von Menschen, die mit dem Paar in Kontakt gewesen sein dürften. Dadurch wusste ich, dass jeder in Paraguay, der mit der Sache zu tun hat, verfolgt, was in Deutschland passiert – und dass mein offener Brief Gehör gefunden hat. Bei „Stern TV“habe ich dann live gesagt, dass die Hand weiter ausgestreckt ist, man kooperieren kann, aber die Flucht ein Ende haben muss. Ich erfuhr im Nachhinein, dass das Paar das auch live mit den Kindern zusammen gesehen hat. Ich erhielt dann weitere Hinweise aus der Querdenker-Szene in Paraguay, dass der Rückhalt für das geflüchtete Paar in der Community bröckelt und die Unterstützung ins Wanken kommt.
Warum?
BOTT Weil ich vermittelnde Botschaften ausgesprochen habe. Ich habe nicht gesagt, dass sie ins Gefängnis müssen, sondern dass es eine gemeinsame Lösung geben muss.
Wie sind Sie dann in Kontakt mit dem Paar gekommen?
BOTT Als ich letzte Woche in Paraguay ankam, wusste das Paar, dass ich da bin. Die haben sogar meinen Flug live im Internet verfolgt, wussten also genau, wann die Maschine mit mir ankommt. Das habe ich im Nachhinein erfahren. Eine Stunde nach meiner Landung kam schon ihr Anruf. Die haben quasi auf den Problemlöser gewartet. Das war bemerkenswert, weil sie vorher ein halbes Jahr lang kein Lebenszeichen von sich gegeben haben. Man muss sich das mal vorstellen: Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass die Kinder noch leben.
Wie ging es dann weiter?
BOTT Am Tag darauf, es war der vergangene Samstag, sind wir in die Verhandlungen eingestiegen – immer über einen MessengerDienst, weil sie sonst verhaftet worden wären. Ich habe insgesamt mehr als zehn Stunden mit dem Paar und den beiden Kindern gesprochen, verteilt auf mehrere Gespräche.
Wie reagierten die
Kinder?
BOTT Die Gespräche mit den Kindern waren sehr rührend. Das war der wichtigste Punkt in den Verhandlungen. Das war der Durchbruch und letztlich entscheidend. Der wichtigste Moment war, als ich mit den Mädchen mehr oder weniger alleine gesprochen habe; die Eltern haben sich dabei zurückgehalten. Dabei haben wir die entscheidende Vertrauensgrundlage geschafft. Das war der Moment, wo alles ins Positive gekippt ist.
Was sagten die Mädchen?
BOTT Die haben mich gefragt, wieso ich sie im Fernsehen bei „Stern TV“als Roboter bezeichnet habe und gesagt hätte, dass nichts Menschliches an ihnen zu erkennen sei auf dem Video, dass das Paar mit ihnen zusammen aufgenommen und veröffentlicht hat. Sie sagten mir klar, dass sie diese Aussage von mir nicht gut fanden. Dann habe ich ihnen erklärt, wieso ich das gesagt habe. Und so haben wir uns dann ausgetauscht und uns kennengelernt. Wir haben in dem ersten, zweistündigen Gespräch nichts anderes gemacht, als uns kennenzulernen. Wir haben
einfach geplaudert.
Wann haben die Eltern in Deutschland mit ihren Kindern gesprochen?
BOTT Noch am Nachmittag desselben Tages. Das hatte ich so vereinbart, weil es mir ganz wichtig war. Sie wussten schließlich ein halbes Jahr lang nicht, wie es ihren Kindern geht. Danach haben wir noch am selben Tag weiterverhandelt. Und dann war klar, dass wir eine gute Lösung finden werden.
CHRISTIAN SCHWERDTFEGER FÜHRTE DAS INTERVIEW