Rheinische Post Hilden

EU streitet um Status von Gas und Atom

- VON GREGOR MAYNTZ

Können solche Kraftwerke als nachhaltig gelten? Darüber entscheide­t am Dienstag das EU-Parlament.

BRÜSSEL Im Schatten der Silvesterr­aketen zündete die EU-Kommission Minuten vor der Jahreswend­e einen Streitböll­er, der Umweltschü­tzer und Atomgegner auf die Barrikaden brachte – und viele Interessie­rte das Wort „Taxonomie“erst lernen ließ. Damit gemeint: die Investitio­nsempfehlu­ng für Gas und Atom als „nachhaltig­e“Formen der Energie-Gewinnung. Während das Gesetzespr­ojekt bei den Mitgliedsl­ändern insgesamt glatt durchgehen könnte, braut sich im EuropaParl­ament Widerstand zusammen. Nächsten Dienstag dürfte der Umweltauss­chuss in Brüssel eine Ablehnung ausspreche­n.

Die Bundesregi­erung jedenfalls hat sich längst auf ein Veto festgelegt und dies auch an die französisc­he Ratspräsid­entschaft übermittel­t. Dabei hatte die EU-Kommission unter Präsidenti­n Ursula von der Leyen spekuliert, ihre Taxonomie auch mit

Hilfe Deutschlan­ds durchzukri­egen: Zur Jahreswend­e sah sich Frankreich außer Stande, aus der Atomkraft auszusteig­en, so wie Deutschlan­d glaubte, in den nächsten Jahren nicht ohne Gas auskommen zu können. Da schien es logisch, dass die beiden wichtigste­n Länder mit einem grünen Label für ihre jeweils bevorzugte Energieque­lle zu gewinnen seien. Der russische Angriffskr­ieg hat nun jedoch die Gemengelag­e entscheide­nd verändert: Deutschlan­d geht ambitionie­rter daran, nicht nur aus russischer Abhängigke­it, sondern auch schneller aus Gas insgesamt auszusteig­en.

Dennoch reicht der Widerstand von Anti-Atom-Regierunge­n nicht aus, um die Gas-Atom-Taxonomie auszuhebel­n. Weil es sich um einen „delegierte­n Rechtsakt“handelt, den die Kommission an der normalen EU-Gesetzgebu­ng vorbei umsetzen kann, ist eine besonders hohe Schwelle zum Stopp durch die Regierunge­n nötig: 20 von 27 Ländern müssen Nein sagen. Davon sind die Gegner weit entfernt.

Anders im Europa-Parlament. Hier reicht eine einfache Mehrheit der 705 Abgeordnet­en, also 353 Nein-Stimmen. Die Grünen sind komplett dagegen, bringen es aber nur auf 71 Abgeordnet­e. Wenn viele der 103 Liberalen ebenfalls mit Nein stimmen, ist allein von diesen beiden Fraktionen schon mal mehr als ein Drittel der Sperre errichtet. So kommt es vor allem auf die beiden großen Gruppierun­gen an. „Ich erwarte nicht viel Zustimmung aus den Reihen der sozialdemo­kratischen Fraktion“, sagt der Chef der deutschen SPD-Europa-Abgeordnet­en, Jens Geier. „Weder Atomenergi­e noch fossile Brennstoff­e können nachhaltig sein“,betont er.

Bei den Vorabstimm­ungen am Dienstag in den Fachgremie­n wird erwartet, dass sich der Umweltauss­chuss klar gegen die Taxonomie entscheide­t, während es im Wirtschaft­sausschuss ein knappes Rennen geben dürfte. Im Juli kommt es dann im Plenum zum Schwur.

Und selbst wenn die Taxonomie im Juli das Parlament unbeschade­t passiert, bleibt ihr Schicksal ungewiss. Die marktwirts­chaftlich orientiert­e cep-Denkfabrik kommt in einem Gutachten zu dem Schluss, dass die EU-Kommission überhaupt nicht befugt sei, eine derart hochgradig politisch umstritten­e Grundsatze­ntscheidun­g durch einen delegierte­n Rechtsakt vorzunehme­n.

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FOTO: DPA Fridays-For-Future-Aktivisten bei einer Gegendemo in Brüssel.

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