Das Leben in Düsseldorf vor 100 Jahren
Zerstörung, Inflation, Baustoffmangel – nach dem Krieg war die Wohnungsnot groß. Wie die Stadtplanung der 1920er Jahre aussah.
DÜSSELDORF Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war geprägt von zwei Weltkriegen. Hinzu kam eine schwere Inflation und hohe Arbeitslosigkeit, vor allem in den 1920er Jahren. Wie die Stadt vor 100 Jahren aussah, hing natürlich mit dem Ersten Weltkrieg 1914 bis 1918 zusammen. Die Stadtplanung dieser Zeit reicht jedoch noch weiter zurück, sagt Jürgen Wiener, Professor am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-Heine-Universität, der sich auch mit lokaler Architekturgeschichte beschäftigt.
„Zur Zeit der Reichsgründung 1871 war Düsseldorf wirklich noch ein Dörfchen. Aufgrund der Bevölkerungsexplosion der folgenden Jahrzehnte und den damit verbunden Prognosen gab es aber einen Plan für die Millionenstadt Düsseldorf“, sagt er. Die städtebaulichen Pläne, die in den 1920er Jahren realisiert wurde, waren noch stark daran angelehnt, auch wenn der Krieg die Lebensrealität der Menschen drastisch verändert hatte. Es wurde mehr und mehr Wohnfläche benötigt, die Stadt wuchs schnell. 1922 lebten schon 431.800 Menschen in Düsseldorf.
Wohnraum, besonders solcher, der für die breite Masse bezahlbar war , sei damals viel eher im Fokus der Stadtplanung gewesen als heute, so Wiener. Es gab sogenannte „Versuchssiedlungen“, wo mit „NichtMaterial“, also Schutt und Industrieabfällen, Wohnungen gebaut wurden. Teilweise sind diese heute noch zu sehen, zum Beispiel am
Südrand des Nordfriedhofes. Es war in Zeiten von Baustoffmangel nicht nur die billigste Art zu bauen, sondern oft auch die einzig mögliche.
Durch die Hyper-Inflation, die 1923 ihren Höhepunkt fand, waren große Investitionen in Bauprojekte fast unmöglich. „Dazu kam die ständige Gefahr der Beschlagnahme durch die Besatzungsmächte“, so Wiener. Das änderte sich mit deren Abzug 1925, der Wohnungsbau habe radikal Fahrt aufgenommen. Erst der „Schwarze Freitag“1929, der Tag an dem die New Yorker Börse zusammenbrach, und die darauf folgende Weltwirtschaftkrise haben den Aufschwung gestoppt.
Doch in jenen Zwischenjahren veränderte sich vieles im Stadtbild. „Um 1928 herrschte die Neue Sachlichkeit als Stil vor, in den Jahren zuvor war es eher der ‚Backstein-Expressionismus‘, auch wenn ich persönlich es schwierig finde, dabei von expressionistischen Bauten zu sprechen“, so der Professor. Einige dieser Backsteinbauten zeugen noch heute von dieser Zeit.
Da wäre zum einen der Ehrenhof. Das Gebäudeensemble wurde zur Ausstellung GeSoLei, der „Ausstellung zu Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“, im Jahr 1926 gebaut. Blickt man von der Rheinseite auf das Gebäude, das heute das NRW-Forum beherbergt, erkennt man gut die BacksteinFront, die durch eine Versetzung der Reihen eine fast gewebeartige Struktur erhält. Auch die Verzierungen im oberen Teil sind markant. „ZickZack-Muster waren damals beliebt, man sprach von einer materialgerechten Weise des Ornaments“, so Wiener. Backsteine sollten als heimatliches, niederrheinisches Material verwendet werden, auch wenn das historisch betrachtet gar nicht stimme.
Die Idee von Düsseldorf als Millionenstadt spiegelte sich auch in der Altstadt wieder, zu nennen sind hier das Wilhelm-Marx-Haus an der Heinrich-Heine-Allee und das Stummhaus an der Breite Straße. „Düsseldorf war in den 1920ern die wichtigste Hochhaus-Stadt im deutschsprachigen Raum“, so Wiener.
Die Optik ist jedoch nicht nur bei repräsentativen Gebäuden zu erkennen. Auch Wohnhäuser erhielten diese Fassaden (es war nicht unüblich, dass sich hinter der Backsteinfront Betonmauern verbargen). In Golzheim an der Kaiserswerther Straße kann man das noch heute begutachten. Auch die Gebäude an der Uedesheimer Straße in Bilk sehe mit ihrer expressionistischeren Bauweise im Prinzip noch aus wie in den 1920ern. Auch in Düsseltal seien rund um die Peter-JanssenStraße und Rembrandtstraße noch einige der chrakateristischen Backsteinhäuser, hier eher freistehend, zu sehen.
In Flingern hingegen kann man am Hellweg eine weitere Neuerung der Zeit nachvollziehen. Die Häuser dort sind das Ergebnis des Massenwohnungsbaus. Neu war dabei die moderne Zeilenbauweise, also lange Häuserfronten entlang der Straße oder im rechten Winkel dazu, mit Grünflächen zwischen den Bauten. „Vorher herrschte eher die typische Blockbauweise vor, also Häuserfronten, die einen ganzen Block quasi umschließen und einen Innenhof freilassen“, so Wiener. Das könne man heute noch an der Karolingerstraße in Bilk erkennen. „Die Innenhöfe waren übrigens gut für Familien geeignet. Die Kinder konnten dort sicher spielen, während die Mütter sie durch die Fenster im Auge behalten konnten. „Denn Autos gab es auch damals schon in der Stadt“, sagt Wiener.
Auch der genossenschaftliche Wohnungsbau prägte das Stadtbild. In der Zeit der Weimarer Republik trat das Interesse des Einzelnen gegenüber dem Sozialwohl im öffentlichen Bewusstsein etwas zurück. Die Düsseldorfer Wohnungsgenossenschaft, damals noch Sparund Bauverein, verzeichnete einen großen Zulauf. Bereits ein Jahr nach Kriegsende konnte mit der Realisierung der Kleinhaussiedlung in NeuEller begonnen werden, etwas später entstand die Siedlung an der Aachener Straße in Flehe.
Denn auch die Randbezirke wuchsen. „In Unterrath um die Amselstraße kann man heute noch die Einzel- und Doppelhäuser dieser Zeit sehen“, so Wiener. Diese freistehenden Häuser mit Garten waren sehr beliebt, sie boten die Möglichkeit zur Selbstversorgung – ein großes Thema in Zeiten von Lebensmittelknappheit.
Der größte Unterschied zu heute ist wahrscheinlich die Belegung der Wohnungen, eine 60 Quadratmeter große Wohnung bot damals einer ganzen Familie Platz, heute werden sie hauptsächlich von ein bis zwei Personen bewohnt. „Die Stadtplanung heute ist auch viel weniger durchdacht, es kommt zu einer extremen Verdichtung. Jeder Zentimeter wird bebaut, es bleibt kaum Raum für Grünflächen oder Spielplätze“, meint Wiener.