Rheinische Post Hilden

Alternativ­er Stadtplan der Gegenwart

Sieben Kunstschaf­fende blicken in der Galerie Max Mayer auf die Welt. Zu sehen ist auch eine Karte, die eine andere Wirklichke­it zeigt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Zur neuen Ausstellun­g in der Galerie Max Mayer gehört unbedingt auch der Weg selbst, das Erlebnis der Anreise sozusagen. Man geht eine Treppe hinunter, begibt sich in ein gut gekühltes Labor, und was dort erforscht wird, ist das Jetzt. Gleich das Entrée der Schau, das Bild „What We See“von Mikolaj Sobczak, zeigt eine Szene, die Hausherr und Kurator Max Mayer so beschreibt: „Damit hat unsere Gegenwart begonnen.“

Wer die Galerie über die Treppe verlässt, ist gut vorbereite­t auf das, was draußen wartet

Zu sehen ist eine gemalte Momentaufn­ahme von einer LGBTQDemo in Warschau, einer Protestver­anstaltung für Gleichbere­chtigung. Ein junger Mensch wird von seinem Vater aus einer brenzligen Situation befreit, indem er seinen sitzstreik­enden Sohn an den Füßen wegzieht. Man sieht alles mit den Augen des Gezogenen, die maskierten Polizisten, die eigene Nasenspitz­e und den Bart. Man schaut aus dem Gesichtsfe­ld eines Fremden heraus, und der Ausschnitt ist so direkt, dass man nicht mehr bloß betrachtet, sondern sich einfühlt und Teil der Szenerie wird.

„Age Of Self“hat Max Mayer die Schau genannt, für die er sieben Künstlerpe­rsönlichke­iten um Beiträge bat. Der Titel zitiert einen Song des englischen Musikers Robert Wyatt; das Lied erschien bereits Mitte der 1980er-Jahre, aber es mutet wie ein Soundtrack zur Unmittelba­rkeit an. „They say the working class is dead, we’re all consumers now“, so beginnt es, und eben darum geht es in dieser Sammelauss­tellung: Wer sind wir eigentlich? Wie wirkt sich die rasch verändernd­e Welt auf unser Selbstvers­tändnis aus? Und was ist es, das im Augenblick am stärksten zählt? Aus Galeristen­Sicht lautet die Antwort: Gemeinscha­ft

stiften. Alle Arbeiten sind anlässlich der Ausstellun­g entstanden; die aus dem Umfeld der Akademie stammenden Künstlerpe­rsönlichke­iten zählen zu Mayers Freundeskr­eis oder tauschen sich schon seit einiger Zeit mit ihm aus, geben Inspiratio­nen. Sie bilden ein Team, sie wirken wie Agenten der Zukunft: So jung und vielfältig ist Kunst in Düsseldorf.

Harkeerat Mangat gestaltet einen doppelseit­igen Stadtplan Düsseldorf­s

mit Wasserfarb­en. Die Arbeit mutet wie eine alternativ­e Geografie an, in der Oben und Unten einander durchwirke­n und sich gegenseiti­g als Grund dienen.

Noemi Weber spannt eine Leinwand auf einen Keilrahmen und verziert und versehrt sie zugleich mit metallenen Ösen. Die Leinwand ist verwundet, Schnitte furchen das Material, aber sie machen es zugleich erst interessan­t, sie wirken wie Reize, die das Hirn in Bewegung halten und das Schauen zu einem aktiven Prozess machen. Überhaupt spürt man allen Werken an, dass sie aus der Beschäftig­ung mit Theorie hervorgega­ngen sein dürften, aus der Reflexion über das Ende der Eindeutigk­eiten und die Flüchtigke­it des Überliefer­ten.

Mira Mann, Tobias Hohn & Stanton Taylor und Murat Önen stellen in ihren Installati­onen, Objekten und Bildern Fragen zur Verfassung des Körpers, zur Überlebens­fähigkeit des Ich und des Wir im Kapitalism­us. Manche Arbeiten haben metaphoris­che Qualität, die Seifenstüc­ke von Caner Teker etwa, die aus destillier­tem Schweiß gewonnen wurden. Das Prinzip von Sauberkeit und Schmutz wird darin ad absurdum geführt.

Wer die Galerie über die Treppe wieder verlässt, ist jedenfalls gut vorbereite­t auf das, was draußen wartet. Die Gegenwart hat längst begonnen.

 ?? FOTO: GALERIE MAX MAYER ?? Harkeerat Mangats zweiteilig­es „Untitled Map“– hier in Details zu sehen – ist eine Wasserfarb­en-Arbeit aus diesem Jahr.
FOTO: GALERIE MAX MAYER Harkeerat Mangats zweiteilig­es „Untitled Map“– hier in Details zu sehen – ist eine Wasserfarb­en-Arbeit aus diesem Jahr.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany