Alternativer Stadtplan der Gegenwart
Sieben Kunstschaffende blicken in der Galerie Max Mayer auf die Welt. Zu sehen ist auch eine Karte, die eine andere Wirklichkeit zeigt.
DÜSSELDORF Zur neuen Ausstellung in der Galerie Max Mayer gehört unbedingt auch der Weg selbst, das Erlebnis der Anreise sozusagen. Man geht eine Treppe hinunter, begibt sich in ein gut gekühltes Labor, und was dort erforscht wird, ist das Jetzt. Gleich das Entrée der Schau, das Bild „What We See“von Mikolaj Sobczak, zeigt eine Szene, die Hausherr und Kurator Max Mayer so beschreibt: „Damit hat unsere Gegenwart begonnen.“
Wer die Galerie über die Treppe verlässt, ist gut vorbereitet auf das, was draußen wartet
Zu sehen ist eine gemalte Momentaufnahme von einer LGBTQDemo in Warschau, einer Protestveranstaltung für Gleichberechtigung. Ein junger Mensch wird von seinem Vater aus einer brenzligen Situation befreit, indem er seinen sitzstreikenden Sohn an den Füßen wegzieht. Man sieht alles mit den Augen des Gezogenen, die maskierten Polizisten, die eigene Nasenspitze und den Bart. Man schaut aus dem Gesichtsfeld eines Fremden heraus, und der Ausschnitt ist so direkt, dass man nicht mehr bloß betrachtet, sondern sich einfühlt und Teil der Szenerie wird.
„Age Of Self“hat Max Mayer die Schau genannt, für die er sieben Künstlerpersönlichkeiten um Beiträge bat. Der Titel zitiert einen Song des englischen Musikers Robert Wyatt; das Lied erschien bereits Mitte der 1980er-Jahre, aber es mutet wie ein Soundtrack zur Unmittelbarkeit an. „They say the working class is dead, we’re all consumers now“, so beginnt es, und eben darum geht es in dieser Sammelausstellung: Wer sind wir eigentlich? Wie wirkt sich die rasch verändernde Welt auf unser Selbstverständnis aus? Und was ist es, das im Augenblick am stärksten zählt? Aus GaleristenSicht lautet die Antwort: Gemeinschaft
stiften. Alle Arbeiten sind anlässlich der Ausstellung entstanden; die aus dem Umfeld der Akademie stammenden Künstlerpersönlichkeiten zählen zu Mayers Freundeskreis oder tauschen sich schon seit einiger Zeit mit ihm aus, geben Inspirationen. Sie bilden ein Team, sie wirken wie Agenten der Zukunft: So jung und vielfältig ist Kunst in Düsseldorf.
Harkeerat Mangat gestaltet einen doppelseitigen Stadtplan Düsseldorfs
mit Wasserfarben. Die Arbeit mutet wie eine alternative Geografie an, in der Oben und Unten einander durchwirken und sich gegenseitig als Grund dienen.
Noemi Weber spannt eine Leinwand auf einen Keilrahmen und verziert und versehrt sie zugleich mit metallenen Ösen. Die Leinwand ist verwundet, Schnitte furchen das Material, aber sie machen es zugleich erst interessant, sie wirken wie Reize, die das Hirn in Bewegung halten und das Schauen zu einem aktiven Prozess machen. Überhaupt spürt man allen Werken an, dass sie aus der Beschäftigung mit Theorie hervorgegangen sein dürften, aus der Reflexion über das Ende der Eindeutigkeiten und die Flüchtigkeit des Überlieferten.
Mira Mann, Tobias Hohn & Stanton Taylor und Murat Önen stellen in ihren Installationen, Objekten und Bildern Fragen zur Verfassung des Körpers, zur Überlebensfähigkeit des Ich und des Wir im Kapitalismus. Manche Arbeiten haben metaphorische Qualität, die Seifenstücke von Caner Teker etwa, die aus destilliertem Schweiß gewonnen wurden. Das Prinzip von Sauberkeit und Schmutz wird darin ad absurdum geführt.
Wer die Galerie über die Treppe wieder verlässt, ist jedenfalls gut vorbereitet auf das, was draußen wartet. Die Gegenwart hat längst begonnen.