So lebten die Menschen vor 100 Jahren
Haus Hilden im Freilichtmuseum Lindlar zeigt eindrucksvoll, wie Menschen vor 100 Jahren in unserer Region gewohnt haben: Auf engstem Raum, ohne fließend Wasser und unter einfachsten Verhältnissen. Ein Blick in den Hildener Alltag um das Jahr 1920 herum.
HILDEN/LINDLAR Kleine Räume, 40 Quadratmeter Gesamtfläche, eine steile Treppe ins erste Geschoss – von außen macht das Fachwerkhaus bereits einen kleinen Eindruck, im Innern werden die winzigen Dimensionen jedoch erst richtig sichtbar. Bis zu zehn Menschen lebten früher in dem Kleinstwohnhaus. Im Freilichtmuseum Lindlar steht Haus Hilden exemplarisch für die beengten Wohnverhältnisse der Fabrikarbeiterfamilien in unserer Region rund um das Jahr 1900.
Hilden entwickelte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluss der Wirtschaftszentren in Wuppertal, Solingen und Düsseldorf zur Industriestadt. Nach der Stadterhebung im Jahre 1861 war besonders der Anschluss an das Eisenbahnnetz 1874 ein Meilenstein für die Entwicklung der jungen Stadt. Der damit verbundene Zuzug auswärtiger Arbeitskräfte führte zur Wohnungsnot. „Im Erdgeschoss vermitteln Küche und Stube anschaulich die Lebensweise der damaligen Bewohnerinnen und Bewohner. Das Zusammenleben auf engstem Raum ohne Nasszelle oder sanitäre Einrichtungen, ohne Rückzugsraum für eine eigene Privatsphäre gehörte für viele Arbeiterfamilien in Hilden zum Alltag. Bezahlbarer Wohnraum war knapp – viele Arbeitssuchende zogen damals von außerhalb in die aufstrebenden Industriezentren“, heißt es in einem Erklärtext des LVRMuseums.
Das „Badezimmer“bestand aus einer Schüssel, die auf einem Gestell stand, damit sich die Bewohner dort auch im Stehen waschen konnten. Aus einer Blechkanne wurde in der Regel kaltes Wasser dazugegossen. Putzen, Spülen und Wäschewaschen fiel damals in den Aufgabenbereich der Frauen. Da es zunächst noch kein industriell hergestelltes Waschmittel gab, nutzen sie vor allem Sand, Seife und Soda.
In der Küche stand ein Holz- oder ein Kohleofen, der in der Regel das Haus heizte und auf dem gekocht werden konnte. Das Essen war vor allem energiereich, da die Menschen vor 100 Jahren körperlich hart arbeiteten. In der „guten Stube“findet sich ein Sofa sowie der Esstisch. Dort verbrachten die Bewohner des Kleinstwohnhauses ihre karge Freizeit. Im Wohnzimmer zu finden sind außerdem ein Jesuskreuz und andere religiöse Darstellungen. Im Garten
direkt am Haus pflanzten die Bewohner vor allem Gemüse an. Sie versorgten sich damit teilweise selbst.
Elektrizität gab es damals zunächst noch nicht. 1884 übernahm die Stadt eine kurz zuvor gegründete Gasfabrik für rund 60.000 Mark. Das war die Geburtsstunde der Stadtwerke. Damals gab es in Düsseldorf schon eine elektrische Straßenbeleuchtung. Die Bergischen
Kleinbahnen würden Strom verkaufen, hieß es. Aber in Hilden war das noch Zukunftsmusik. Nur für eine Klingel am 1900 eingeweihten Rathaus (heute Bürgerhaus Mittelstraße 40) ließ die Stadt sich von den Kleinbahnen Strom liefern. 1906 gab es 99 Gaslaternen in Hilden, einige davon blieben mittlerweile die ganze Nacht an. Auch die alten Öllampen wurden noch benutzt, jetzt mit Petroleum.
1907 legten die Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) eine Stromleitung von Düsseldorf nach Benrath, und zwar über Hildener Stadtgebiet. Da entschlossen sich die Stadtwerke, in das Geschäft einzusteigen. Wer sich bis zum 1. Juli 1908 für den Strom angemeldet hatte, bekam das Kabel gratis verlegt. Wieder war das Rathaus zuerst dran: Die Bürgermeisterwohnung im obersten Stock bekam elektrischen Strom. Ein Jahr später führten sechs Kilometer Stromleitung zu den Hildener Haushalten. Im Licht von fast 2000 Glühlampen verbrachten die Hildener die dunklen Winterabende. Viele Jahre lang erleuchteten Strom und Gas die Stadt gemeinsam. Erst 1968 erlosch die letzte Gaslaterne in Hilden.
Die Mehrheit der Hildener Bürger betrieb um das Jahr 1800 ein häusliches Handwerk und bewirtschaftete nebenbei ein Stückchen Land, um den eigenen täglichen Bedarf zu decken. So auch Adolf Sandbach (1726 bis 1780), der in Folge einer Erbteilungsvereinbarung das Backhaus des Gutes „In der Sandbach“erhalten hatte – das heutige Haus Hilden. Der Lein- und Wollweber nutzte das Fachwerkgebäude als Wohnhaus und Werkstatt zugleich.
Vor mehr als 250 Jahren wurde das Gebäude als Backhaus errichtet. Es gehörte zu einer größeren Hofanlage an der Hochdahler Straße 220, dort, wo früher die Esso-Tankstelle stand. Die Besitzer bauten es wahrscheinlich 1763 zu einem Wohnhaus aus. 1990 sollte das Fachwerkhaus abgerissen werden. Doch die Stadt und das Freilichtmuseum retteten das beispielhafte Kleinstwohnhaus und ließen es abbauen. Die Kosten dafür und für den Transport nach Lindlar trug die Stadt.
Im Freilichtmuseum wurde das Gebäude erst einmal zwischengelagert. „Wir sind damals gefragt worden, ob wir Interesse an dem Haus haben“, erzählt Museumsmitarbeiterin Petra Dittmar. 1998 eröffnete die Einrichtung des LVR im Oberbergischen Lindlar, mit der Zielsetzung, nicht nur alte Gebäude zu zeigen, sondern an ihrem Beispiel Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Menschen im Bergischen Land zu erzählen. 2015 wurde Haus Hilden unter Anwesenheit auch Hildener Politprominenz feierlich eröffnet.