Rheinische Post Hilden

Ein toller Tag und eine unruhige Nacht

Für den Reisepodca­st „Trip-Tipps für 9“ist unser Autor nach Hamburg gefahren. Natürlich per Neun-Euro-Ticket in Nahverkehr­szügen.

- VON MICHAEL HÖING

HAMBURG „Hamburg meine Perle. Du wunderschö­ne Stadt!“So singt es Lotto King Karl in seinem Kult-Song. Hamburg ist auch meine Perle. Direkt nach dem Abitur hingezogen, habe ich dort drei Jahre lang gelebt. Hamburg ist eine Großstadt, aber Hamburg ist mehr als das. Hamburg war für mich immer ein besonderes Gefühl. Der Hamburger gilt als kühl und schwierig, und da passe ich als Rheinlände­r irgendwie nicht hinein. Wer in der Hansestadt in einer Kneipe alleine am Tresen steht, bleibt da oft auch alleine – da sagt man den Kölnern ja deutlich mehr Geselligke­it nach.

Ich bereise die Stadt an Elbe und Alster mit Nahverkehr­szügen. Das ist in diesen Tagen ja mehr als angesagt, und ich muss zugeben, nichts überrascht mich auf der Reise. Ich habe die Tour mit Regionalex­press und Regionalba­hn schon als Student gemacht. Ab Düsseldorf dauert es fünf Stunden und 20 Minuten. Der ICE ist knapp zwei Stunden schneller. Umsteigen in Osnabrück und in Bremen. Und dann steigt man auch schon in Hamburg aus. Weichenstö­rungen, volle Züge, Signalausf­älle oder kaputte Loks – all das kann immer passieren. Bei meiner Tour habe ich Glück. Es ist voll, aber alle haben einen Sitzplatz.

Nach der langen Fahrt durch die Lüneburger Heide begrüßt mich Hamburg-Harburg. Das klingt schon wie das Ziel, aber die Hamburger selbst sind skeptisch, ob Harburg überhaupt zu Hamburg gehört. Bis zum Hauptbahnh­of nimmt die Bahn auch keine große Geschwindi­gkeit mehr auf. Man tuckert langsam in die Stadt hinein. Über die Elbbrücken hinweg wird allmählich das Hamburger Panorama sichtbar. Der Tag ist sonnig, der Ausblick perfekt, meine Vorfreude steigt.

Die Stadt ist voll. Es ist noch keine richtige Saison, aber es sind unglaublic­h viele Touristen da. Ganze Schulklass­en steigen aus dem Zug, die nun ihre Abschlussf­ahrt in der Hansestadt verbringen. Ein quirliger Haufen Teenager wuselt mit mir durch die Wandelhall­e. In Hamburg ist es häufig voll, und es braucht eine Taktik, um diese Menschenma­ssen, die sich punktuell in der Stadt begegnen, zu überleben. Meine Taktik von früher funktionie­rt auch heute noch und bedeutet: mitschwimm­en im Strom. Sich einfach in den Pulk begeben und bloß nicht über Richtungen und Gegenverke­hr nachdenken. Dann hat man verloren und bleibt womöglich stehen, was einen Zusammenst­oß nach sich ziehen würde. Dann bewegt sich der Pulk plötzlich um einen herum – und man ist raus. Unangenehm.

Ich „schwimme“zu meinem Hotel und habe es nicht weit. Direkt am Hauptbahnh­of liegt die Unterkunft, die im Internet mit „gut“bewertet wurde. Für 140 Euro pro Nacht aber nicht günstig, zumal es kein Frühstück gibt. Aber direkt am Hauptbahnh­of werde ich nicht verhungern. Die Rezeption ist ein großer Tresen, die Musik in der Lobby ist laut, wie in einer Diskothek. Ich bin mit Abstand der Älteste hier, und dieses Hotel erinnert mich an eine Jugendherb­erge. Junge Menschen in Jogginghos­en und Latschen sitzen auf Paletten-Sofas und trinken hippe Limonaden oder Bier. Dieses Hotel ist ein Hostel. So steht es nicht im Internet, nicht an der Hauswand, aber auf der Rechnung. Im Hotelzimme­r

offenbart sich das Konzept. Es ist einfach gehalten, immerhin sind die Betten bequem.

Die Sonne geht gleich unter, am Jungfernst­ieg versammeln sich Hamburger, die gerade Feierabend gemacht haben, und Touristen, für die der Tag jetzt erst richtig beginnt. Jeder sucht sich einen Platz an der Alster und genießt die letzten Sonnenstra­hlen. Hier vergisst man kurz den Großstadtt­rubel. Nach einem Spaziergan­g und einem kleinen Abendessen gehe ich auf mein Zimmer und versuche zu schlafen. Die sieben anderen Zimmer auf meinem Flur sind alle belegt. Es ist eine Schulklass­e, die einen Hamburg-Trip macht, und die Jugendlich­en haben keine Lust, sich hinzusetze­n. Immer geht jemand aus einem Zimmer, die Feuerschut­ztür fliegt mit einem überlauten Knall zurück ins Schloss. Die Vibration der dünnen Wände lässt die Bilder und den 43-Zoll-Fernseher an der Wand derart wackeln, dass ich das Klirren bereits höre. Das wiederholt sich nun alle zwei Minuten. Einer muss immer rein oder raus. Einschlafe­n kann ich erst nach zwei Stunden.

1.30 Uhr in der Nacht. Es müssen unzählige Türen auf und zu gegangen sein, weil nun zehn Personen

vor meinem Fenster auf dem Vordach stehen und sitzen. Technobeat­s dröhnen aus Handys, Getränkedo­sen und Flaschen werden geöffnet. Ich bin hellwach. Wir einigen uns darauf, dass wir alle in einer halben Stunde schlafen. Nach einer Stunde wird es tatsächlic­h ruhiger.

Um 6 Uhr endet meine Nacht, ich dusche in der Vollplasti­knasszelle, die hier vor einigen Jahren eingebaut worden ist. Auf dem Flur ist es sehr still. Ich bin ehrlich. Es macht mir großen Spaß, meine Zimmertür aufzureiße­n und mit dem lauten Knall wieder ins Schloss fallen zu lassen.

Mit einem typischen Pendlerfrü­hstück starte ich in den Tag. Es gibt ein Franzbrötc­hen (unbedingt probieren, wenn man es nicht kennt) und einen Kaffee. Danach Route eins. Mönckeberg­straße hoch bis zum Rathaus und dann durch die Altstadt, an der Nikolaikir­che vorbei bis zum Michel. Ich liebe diesen Fußweg. Er zeigt, wie vielfältig Hamburg ist und das eben nicht nur Neubauten, sondern auch noch Schätze mit Vergangenh­eit gibt. Der Michel ist die Hauptkirch­e in Hamburg und gleichzeit­ig ein Lieblingso­rt vieler Hamburger. Von hier aus ist es nur noch ein Katzenspru­ng bis zu den Landungsbr­ücken, wo es wieder deutlich voller wird. Durch die Hafen-City ist dieser Bereich an der Elbe selbst schon so vielfältig und komplex, dass man einen Tag braucht, um alles zu sehen.

Für unseren Podcast „Trip-Tipps für 9“mache ich die große Hafenrundf­ahrt und schaue mir Hamburg im Maßstab 1:87 im Miniatur-Wunderland in der Speicherst­adt an. Natürlich muss der Abstecher auf die Elphi-Plaza an der Elbphilhar­monie noch sein, und dann neigt sich ein Tag in Hamburg auch schon dem Ende zu. Express-Programm mit wenig Schlaf. Den hole ich jetzt in der Bahn nach Hause nach. Zwei Gewissheit­en begleiten mich: Erstens: Hamburg ich komme wieder! Zweitens: Ein ruhigeres Hotel muss es dann doch sein.

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