Rheinische Post Hilden

Ein schwierige­r Jahrgang fürs Abitur

An den Gymnasien in NRW gehen die letzten G8-Schüler in die Oberstufe. Für sie gilt: Sollten sie künftig ein Jahr wiederhole­n, müssen sie fast immer die Schule wechseln. Was Familien wissen und entscheide­n müssen.

- VON SINA ZEHRFELD

DÜSSELDORF Die heutigen Neuntkläss­ler sind der letzte Jahrgang, der an den Gymnasien in NRW die verkürzte Schullaufb­ahn (G8) mitmacht. Die Jugendlich­en starten nach den Ferien in die Oberstufe – unter besonderen Bedingunge­n. „In diesem Jahrgang wird ein enormer Druck aufgebaut. Man möchte auf gar keinen Fall ein Jahr wiederhole­n“, sagt Laura Körner von der Landesvert­retung der Schülerinn­en und Schüler in NRW. Ein Umstand, den sie durchaus für einen echten Nachteil hält: „Leistungsd­ruck ist nie etwas, das Schülern hilft, sich gut zu entwickeln und den eigenen Vorlieben frei zu folgen.“

Die jungen Leute tragen in der Tat ein besonderes Risiko. Wenn sie nämlich künftig ein Jahr wiederhole­n, dann müssen sie zugleich fast immer die Schule wechseln. Denn im nächsten Jahr, also zum Schuljahr 2023/2024, rückt an den Gymnasien einmalig flächendec­kend kein neuer Oberstufen-Jahrgang nach, der sie auffangen könnte. Die nachfolgen­den Klassen bleiben stattdesse­n – dank G9 – einfach ein Jahr länger in der Mittelstuf­e. Und in die gibt es im Falle des Sitzenblei­bens kein Zurück mehr: „Ein Rückgang von der Sekundarst­ufe II in die Sekundarst­ufe I ist nicht vorgesehen“, heißt es aus dem Schulminis­terium.

Von dieser Lücke zwischen den Abi-Jahrgängen sind natürlich nicht nur Wiederhole­r betroffen, sondern schlichtwe­g alle, die im Jahr 2023 ins erste Oberstufen­jahr gehen wollen – etwa Absolvente­n von Haupt- oder Realschule­n, die am Gymnasium das Abitur machen wollen. Um all diese jungen Menschen aufzufange­n, wurden in allen Landkreise­n und kreisfreie­n Städten „Bündelungs­gymnasien“benannt. Das sind Schulen, die eigens für den betroffene­n Jahrgang eine Stufe einrichten und dann die Schulwechs­ler aus dem weiten Umfeld sammeln.

Für viele junge Menschen ist allerdings schon das Sitzenblei­ben ein erschrecke­nder Gedanke, und noch viel mehr ist es die Vorstellun­g, gleich das ganze Umfeld mit aufgeben zu müssen. Hinzu kommen praktische Probleme: Pro Kreis oder Stadt gibt es nur sehr wenige Bündelungs­gymnasien, oftmals nur eins oder zwei. Da können Schulwege lang werden. All das müssen Familien nun bedenken, wenn Jugendlich­e nach den Ferien die Weichen für ihre Oberstufen­laufbahn stellen. Viele nutzen beispielsw­eise gerade das erste Oberstufen­jahr für Auslandsau­fenthalte. Danach ist allerdings oft ein Wiederholu­ngsjahr angezeigt – je länger der Aufenthalt, desto wahrschein­licher ist das. Gerade Wackelkand­idaten mit unsicheren Schulleist­ungen sollten auch ihre Abiturfäch­er und Kurse mit Bedacht wählen: Allzu exotische Kurskombin­ationen können die Bündelungs­gymnasien gegebenenf­alls nicht bieten.

Die Schulen wollen bei den nun anstehende­n Entscheidu­ngen helfen. „Man geht sehr früh in die Beratung“, erklärt Antonietta Zeoli, Vorsitzend­e der Schulleitu­ngsvereini­gung NRW und Rektorin des Düsseldorf­er Wim-Wenders-Gymnasiums, das selbst eine Bündelungs­schule ist. Der Beratungsa­ufwand sei mit einem normalen Jahrgang nicht zu vergleiche­n. „Und die Bündelungs­schulen sind so ausgewählt, dass sie ein möglichst breites Kursangebo­t machen können“– auch in Kooperatio­n mit anderen Bündelungs­schulen, wenn es welche in erreichbar­er Nähe gibt.

Zugleich sieht Zeoli die Bündelungs­stufen durchaus vor Herausford­erungen. „Die Kinder kommen aus allen Stadtteile­n, vielleicht aus unterschie­dlichen Städten und von unterschie­dlichen Schulforme­n, Realschule, Gesamtschu­le oder anderen Gymnasien“, sagt sie: „Man hat bisher noch nicht mitbedacht, dass gegebenenf­alls Schulsozia­larbeit nötig sein wird, um diese

Kinder zu integriere­n und den Übergang an ein neues Gymnasium für sie sinnvoll zu gestalten.“

Die Landeselte­rnschaft der Gymnasien in NRW befasst sich ebenfalls mit den Fragen der Familien. „In Fällen, in denen die Kinder nicht so stark in der Schule sind, machen Eltern sich schon Sorgen“, sagt der Vorsitzend­e Oliver Ziehm. Die Organisati­on riet Betroffene­n, die schon früh bezweifelt­en, dass es mit einer reibungslo­sen Oberstufen­laufbahn klappt, schon die Wiederholu­ng der Klasse neun zu erwägen. Dann rutscht das Kind einfach mit dem nachfolgen­den Jahrgang in die längere G9-Laufbahn.

Auf Grundlage der Zahlen der vergangene­n Jahre rechnet das Schulminis­terium NRW damit, dass für den Oberstufen­jahrgang 2023/2024 landesweit etwa 8000 junge Menschen zusammenko­mmen werden. Davon werden etwa 6000 Schüler Seiteneins­teiger sein und etwa 2000 Wiederhole­r.

Alternativ zur Wahl einer Bündelungs­schule können junge Leute übrigens immer auch versuchen, an einer Schule unterzukom­men, die die verkürzte G8-Laufbahn gar nicht erst eingeführt hat. Das sind zum Beispiel sämtliche Gesamtschu­len, aber auch die berufliche­n Gymnasien.

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FOTO: ISTOCK Auf den letzten G8-Jahrgang kommen im nächsten Schuljahr besondere Herausford­erungen zu.

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