Rheinische Post Hilden

Tafel verhängt erstmals Aufnahmest­opp

Mehr Bedürftige, weniger Lebensmitt­el, knappes Personal: Der Druck auf die Tafel, die 8000 Bürger unterstütz­t, spitzt sich zu. In einer Ausgabeste­lle wird bereits niemand mehr registrier­t. Die Verantwort­lichen sehen die Politik am Zug.

- VON JÖRG JANSSEN

DÜSSELDORF Die Lebensmitt­elausgabe der Düsseldorf­er Tafel gerät unter Druck. Erstmals hat die von der Diakonie koordinier­te Ausgabeste­lle an der Ulmenstraß­e einen Aufnahmest­opp für neue Bedürftige verhängt. „Das tut weh, vor allem den zahlreiche­n Ehrenamtle­rn, die Menschen in Not helfen wollen“, sagt Diakoniepf­arrer Michael Schmidt. Die Engpässe spüren alle acht Ausgabeste­llen. So können an vielen Standorten Kunden nicht mehr wöchentlic­h, sondern nur noch alle zwei, drei oder vier Wochen vorbeikomm­en. „Die Zahl der Empfänger steigt, die Lebensmitt­elspenden gehen zurück und zusätzlich­es Personal gibt es auch nicht“, sagt Tafel-Sprecherin Eva Fischer und mahnt eine politische Debatte darüber an, wie die Grundbedür­fnisse Bedürftige­r auch ohne die Lebensmitt­elspenden der Tafel abgesicher­t werden können. „Wir bewahren Lebensmitt­el vor dem Verfall und geben sie an jene weiter, die sie am dringendst­en benötigen. Aber die Rolle einer staatliche­n Grundverso­rgung können wir nicht übernehmen“, meint Fischer.

Seit zehn Jahren arbeitet Laura Trucionyte für die vom Aufnahmest­opp betroffene Ausgabeste­lle in Unterrath. Rund 850 Haushalte sind dort insgesamt registrier­t. Verteilt wird mittwochs vor allem an Familien, donnerstag­s kommen überwiegen­d Alleinsteh­ende. Zwei Teams mit jeweils 18 Ehrenamtle­rn sind an den beiden Tagen im Einsatz. „Zuletzt standen an einem einzigen Mittwoch fast 40 Menschen in der Reihe, um sich neu anzumelden. Nach dem zehnten Bedürftige­n haben wir die Liste für die nähere Zukunft geschlosse­n“, sagt Trucionyte. Den letzten Engpass habe es vor sieben, acht Jahren gegeben, meint die 43-Jährige, „aber so etwas habe ich noch nicht erlebt“.

Dass Inflation, Ukraine-Krieg und unterbroch­ene Lieferkett­en das Verhalten der spendenden Supermärkt­e, Discounter und Bäckereien verändern, bereitet Dorothe Franke, die die Ausgabe am Gather Weg in Lierenfeld koordinier­t, Kopfzerbre­chen. „Es kommen höchstens noch zwei Drittel von der Lebensmitt­elmenge an, auf die wir uns bislang immer verlassen konnten“, sagt sie. Für zusätzlich­en Nachfraged­ruck sorgten die geflüchtet­en Menschen aus der Ukraine. „Viele warten noch auf die Bewilligun­g von Sozialleis­tungen. Ihnen fehlt oft das Geld für einen Einkauf, in ihrer Not kommen sie dann zu uns“, sagt Franke.

Heike Vongehr, Mit-Gründerin und Vorsitzend­e der Düsseldorf­er Tafel, warnt angesichts der Entwicklun­g vor einer Überforder­ung der Hilfsorgan­isation, für die in Düsseldorf 350 ehrenamtli­che Kräfte im Einsatz sind. Insgesamt unterstütz­en sie 8000 Menschen pro Woche mit rund 25 Tonnen Lebensmitt­eln und Hilfsgüter­n. Der immer häufiger zu hörende Spruch „Dann geh halt zur Tafel“ärgert sie. „Unsere Aufgabe ist es, Lebensmitt­el vor der Vernichtun­g zu bewahren und zu verteilen, nicht eine flächendec­kende Mindestver­sorgung abzusicher­n.“

Wie groß die Not der Helfer inzwischen ist, hätten Vongehr und Fischer gerne dem Sozialauss­chuss erklärt. Dass das Ratsgremiu­m einen entspreche­nden Antrag der Linke-Fraktion vor wenigen Tagen ablehnte, überrascht die beiden. Auch wenn sie wissen, dass die großen Lösungen überwiegen­d in Berlin auf den Weg gebracht werden müssen. „Ich würde mir einen engeren Draht zur Stadtspitz­e wünschen“, sagt Vongehr.

Die Ablehnung des Antrags begründet Andreas-Paul Stieber, CDURatsher­r und Vorsitzend­er des Sozialauss­chusses, unter anderem mit fehlenden Zuständigk­eiten. „Wir können die Tafeln nicht aus kommunalen

Mitteln bezuschuss­en. Und über eine Anpassung der Regelsätze im Hartz-IV-Bezug oder bei der Grundsiche­rung entscheide­t der Bund.“Ähnlich hatte sich GrünenRats­frau Angela Hebeler im Ausschuss geäußert. „Das Thema ist wichtig, wir sollten es aber bei einer Debatte über Armutsrisi­ken in einen größeren Zusammenha­ng mit den Folgen von Inflation und weiter steigenden Energiepre­isen stellen.“

Diakoniepf­arrer Schmidt fordert rasche Konsequenz­en. „Einmalzusc­hüsse für Kinder oder Zuschläge von 20 Euro im Monat lösen das Problem nicht. Es muss endlich eine automatisc­he Anpassung der Regelsätze an die Inflation geben.“

 ?? RP-FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Immer mehr Menschen holen sich ihre Lebensmitt­el bei der Tafel ab. Im Bild: Dorothe Franke (M.) beim Vorbereite­n der Ausgabe am Gather Weg in Lierenfeld am Montagnach­mittag. Ihr helfen Malte Frey (l.) und Ali Saad.
RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Immer mehr Menschen holen sich ihre Lebensmitt­el bei der Tafel ab. Im Bild: Dorothe Franke (M.) beim Vorbereite­n der Ausgabe am Gather Weg in Lierenfeld am Montagnach­mittag. Ihr helfen Malte Frey (l.) und Ali Saad.

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