Jäger retten Rehkitze per Drohne
Wenn Landwirte ihre Wiesen mähen, sind viele Jungtiere in Gefahr. Dank moderner Technik werden die Kitze vor dem Tod bewahrt.
WITTLAER Der Wecker von Landwirt Christoph Sonnen hat an diesem Morgen besonders früh geklingelt. Ebenso der von sieben Jägern aus der Umgebung. Sie alle haben sich in Wittlaer versammelt. Und sie alle wollen Rehkitze retten.
Die acht Jäger blicken nun auf eine Wiese, die Sonnen gehört. Das Gras dort ist hoch gewachsen. Bald wird sich ein Mähwerk für die Heuernte durch die Halme schneiden. Damit kein Rehkitz unter die messerscharfen Klingen gerät, kommt eine Drohne zum Einsatz. „Dass die Rehkitze beim Mähen verstümmelt oder getötet werden, wollen wir selbstverständlich verhindern“, sagt Stephan Handeck, der Jagdpächter der Fläche ist.
Surrend steigt deshalb die mit Landesmitteln geförderte Drohne in die Luft. „Wir fliegen bis zu 30 Meter hoch und nutzen eine Wärmebildkamera, um die Kitze im Gras zu finden“, erklärt Drohnenpilot Uwe Storch. Auf den Bildschirm des Steuergeräts blickend, lässt er die Drohne sorgfältig über das eineinhalb Hektar große Stück Land gleiten. Weil der Boden morgens noch kalt ist, bildet er einen besonders starken Kontrast zur Körperwärme der Tiere. Aus diesem Grund sind Jäger und Landwirt schon um 6 Uhr oder noch früher auf der Suche nach den Kitzen.
Im Mai oder Juni gebären die weiblichen Rehe, die Ricken heißen, ihre Jungtiere und legen diese im hohen Gras ab. Wenn Landwirte mit Trecker und Mähwerk die Fläche bearbeiten, wird den kleinen Rehen ein Schutzmechanismus aus der Natur zum Verhängnis. Sie besitzen einen sogenannten Drückinstinkt: Bei Gefahr verharren sie reglos auf dem Boden. „Dort bleiben sie liegen, komme, was wolle“, sagt Jäger Friedhelm Heinrichs. Für natürliche Feinde mache diese Taktik die Kitze beinahe unauffindbar. „Die Rehkitze haben zusätzlich nämlich überhaupt keinen Eigengeruch“, so Heinrichs. Füchse und selbst Hunde mit ihren Super-Spürnasen wittern die Wildtiere nicht. Wegen des Drückinstinkts sei es aber auch für Landwirte fast unmöglich, die Tiere ohne technische Hilfsmittel zu entdecken.
Rund um Uwe Storch herrscht mittlerweile eine besondere Spannung. Sieben Augenpaare blicken gebannt auf den Drohnen-Bildschirm. Eindeutig zeichnet sich dort der Körper eines Tieres vom Boden ab. Storch steuert die Drohne etwas tiefer, dunkles Fell ist zu sehen. Doch die Umstehenden erkennen schnell: „Das ist eine Nutria.“Die Biberratte, die hier durch das Gras schleicht, ist ein Fluchttier. Noch einmal steuert Storch die
Drohne an einer Böschung entlang, dann ist er sich sicher, dass zumindest auf diesem Grasland kein Rehkitz liegt. Die Anwesenden brechen auf, um zur nächsten Wiese zu fahren, denn insgesamt möchte Sonnen etwa sieben Hektar mähen.
Die Jäger, die an diesem Tag im Einsatz sind, sind Mitglieder des Hegerings Angerland der Kreisjägerschaft Düsseldorf/Mettmann. „Zu uns Jägern gehört eben nicht nur das ,Peng‘“, sagt Jürgen Droste. „Wir setzen uns auch für die Hege und Pflege der Natur ein.“Zur Kitzrettung sind sie ehrenamtlich gekommen. Die 19-jährige Amelie Schmitz etwa, die seit einem Jahr einen Jagdschein
besitzt, muss gleich noch in die Schule. „Es ist schön morgens rauszufahren und sicherzugehen, dass kein Kitz in Gefahr ist“, sagt sie. Auch Christoph Sonnen ist erleichtert, dass er sein Gras guten Gewissens mähen kann. Das Angebot des Hegerings nimmt er das zweite Jahr in Folge in Anspruch. In den Jahren zuvor hat er seine Wiesen zu Fuß und mit Hund Eddy abgesucht, um die Ricken dazu zu bringen, ihre Kitze an einem anderen Ort abzulegen. Die Drohnen erleichtern ihm nun die Arbeit.
2021 förderte das Land NRW erstmals die Anschaffung von Drohnen zur Rehkitz-Rettung. Mit der finanziellen Hilfe schafften die nordrhein-westfälischen Kreisjägerschaften insgesamt 33 Drohnen an, teilt das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in NRW mit. 663 Kitze konnten damit 2021 vor dem Mähtod bewahrt werden, heißt es. Für das Jahr 2022 stellte das Ministerium 100.000 Euro bereit, um die Anschaffung der Drohnen weiter zu unterstützen.
Doch nicht bei jedem Einsatz wird ein Rehkitz gefunden. Die Gruppe um Uwe Storch ist an diesem Tag noch vier weitere Wiesen angeflogen. Ein Kitz war nirgends zu sehen. „Aber auch das ist gut und bringt Gewissheit für die Landwirte“, sagt Jäger Friedhelm Heinrichs.
Der Hegering Angerland rückte in diesem Jahr bereits fünf Mal aus, um Wiesen mit der Drohne abzusuchen. Bei der vergangenen Suche haben die Jäger gleich zwei Rehkitze gerettet. Mit Handschuhen und viel Gras, damit die Tiere nicht den menschlichen Geruch annehmen, werden die Rehe in eine Kiste gesetzt. „Dann muss der Landwirt seine Fläche mähen, bevor wir das Kitz wieder aussetzen“, erklärt Heinrichs. Jagdpächter Stephan Handeck appelliert in diesem Zusammenhang an alle Düsseldorfer: „Es ist falsch verstandene Tierliebe, ein im Gras liegendes Kitz einfach so mitzunehmen. Bitte lasst außerdem Hunde nicht durch die Wiesen laufen. Das bringt Unruhe und ist gerade jetzt für die Tiere gefährlich.“