Eine Chance für die Ukraine
Jahrelang stritten die Deutschen über einen Beitritt der Türkei zur EU. Ein islamisches Land mit einer wackligen Demokratie, wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständig, passe nicht in die EU, meinten die einen. Als Chance für die Entwicklung zum Rechtsstaat sahen es die anderen. Die Spaltung signalisierte der Regierung, mit einer Beitrittsperspektive nicht allzu schnell voranzuschreiten. Am Ende blieb das Land draußen. Jetzt versinkt die Türkei in Wirtschaftschaos und autoritären Strukturen. Die Chance – wenn sie je bestanden hat – ist vertan.
Wiederholt sich das Drama nun in der Ukraine? Auch hier sind die Deutschen tief gespalten. Bei solchen Unterschieden sind die meisten Politikerinnen und Politiker, egal welcher Couleur, eher vorsichtig. Es ist also gut möglich, dass jegliche Beitrittsperspektive wie im Fall der Türkei politisch auf die lange Bank geschoben wird. Das hat die Ukraine nicht verdient. Natürlich kann es nicht eine Aufnahme zum Nulltarif geben, aus rein sicherheitspolitischen Erwägungen. Das Land muss die Bedingungen für einen EU-Beitritt erfüllen. Aber der Staat muss eine echte Chance bekommen. Dafür sollte sich vor allem Deutschland einsetzen. Denn Frankreich wird in jedem Fall bremsen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat diesen fairen Prozess garantiert und sich damit von Frankreich und Deutschland freigeschwommen. Sie kann zur echten Anwältin der Anliegen der Ukrainer werden. Auf jeden Fall beweist sich die Solidarität mit der Ukraine daran, wie ernst die Verantwortlichen die Beitrittsperspektive nehmen, ob politischer Wille dazu besteht oder nicht. Mit einer richtigen Kommunikation wären auch die Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, dass eine unabhängige Ukraine, die den Weg in die EU gehen darf, einen Schutz für die europäische Gemeinschaft, nicht nur eine Belastung darstellt. Der Fall Türkei darf sich nicht wiederholen.