Rheinische Post Hilden

Eine Mahnung in der Öffentlich­keit

- VON DOROTHEE KRINGS

Das Relief hängt in vier Meter Höhe außen an der Stadtkirch­e in Wittenberg. Stereotype Figuren, die Juden darstellen sollen, sind in schmähende­r Weise um eine Sau gruppiert, ein Tier also, das im Judentum als unrein gilt. Es ist keine Frage, dass die Darstellun­g von 1290 „in Stein gemeißelte­r Antisemiti­smus ist“, wie der Bundesgeri­chtshof befand. Natürlich geht es dabei um historisch­en Antisemiti­smus, doch ist der keineswegs harmlos, denn es lassen sich Linien bis zum Holocaust ziehen und leider auch bis in die Gegenwart. Es ist also verständli­ch, dass ein vor Jahrzehnte­n zum Judentum konvertier­ter Mann seine Religion und sich selbst durch die Schmähplas­tik diffamiert sieht und sie am liebsten ins Museum hätte verfrachte­n lassen.

Der Bundesgeri­chtshof hat anders entschiede­n. Er hält die Distanzier­ung, die von der Kirchengem­einde vorgenomme­n wurde, für ausreichen­d. Auch an anderen Kirchen wurde bereits so verfahren, am Regensburg­er Dom zum Beispiel. Jüdische Vertreter unterstütz­en diesen Kurs. Das Urteil ist tatsächlic­h keine Schwächung der jüdischen Position, sondern eine Mahnung, Verantwort­ung für historisch­e Schuld und für die Auseinande­rsetzung darum im öffentlich­en Raum zu übernehmen. Das ist richtig. Belege historisch­er Schuld aus der Öffentlich­keit zu tilgen, würde nur dazu führen, dass von dieser Vergangenh­eit weniger die Rede ist. Reliefs wie jenes in Wittenberg dürfen nicht unkommenti­ert in der Öffentlich­keit hängen.

Flankiert durch kritische Informatio­n jedoch werden sie zu wichtigen Stolperste­inen, die etwa die Frage aufwerfen, welchen Anteil die Kirchen am Judenhass hatten. Darüber hinaus offenbaren sie, wie offen und selbstkrit­isch betroffene Institutio­nen heute mit ihrer historisch­en Schuld umgehen. 48 Darstellun­gen wie die in Wittenberg hängen an Kirchen in Europa. Genug Gelegenhei­t, in der Gegenwart Haltung zu zeigen.

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