Männlich, weiblich, divers?
Die Tierwelt macht es vor: Geschlechter sind nicht starr, sondern variabel.
Seit Dezember 2018 ist neben „männlich“und „weiblich“der Geschlechtseintrag „divers“im Geburtenregister erlaubt, um intergeschlechtliche Personen zu berücksichtigt. Eine Intergeschlechtlichkeit kann verschiedene biologische Ursachen haben, die von Abweichungen in den Geschlechtschromosomen über eine Fehlentwicklung der Gonaden bis zu einem veränderten Hormonspiegel reichen. Etwa 150 intergeschlechtliche Babys kommen in Deutschland jedes Jahr auf die Welt.
Bei Säugetieren wird das Geschlecht über Geschlechtschromosomen bestimmt. Sind die Geschlechtschromosomen identisch, bildet sich ein Weibchen aus, sind sie unterschiedlich, wird es ein Männchen. Bei Insekten besitzen die Männchen oft nur ein Geschlechts-Chromosom oder sind sogar, wie bei den Bienen, komplett mit nur einem Satz Chromosomen ausgestattet. Auch die Jungfernzeugung ist bei Insekten nicht ungewöhnlich. Im Sommer vermehren sich weibliche Blattläuse beispielsweise ohne Paarung, das spart Zeit und Energie. Erst zum Winter hin bringen sie Männchen hervor, um sich anschließend geschlechtlich fortzupflanzen. Plattwürmer wiederum sind Zwitter, sie besitzen keine Geschlechtschromosomen. Im Laufe ihres Lebens sind sie erst männlich und dann weiblich. Selbstpaarungen sind nicht ungewöhnlich und insbesondere dann praktisch, wenn sich gerade kein Paarungspartner finden lässt. Nach Einführung der Geschlechtsoption „divers“kritisierte der Lesbenund
Schwulenverband zu Recht, dass Intersexualität sich nicht nur über körperliche Merkmale definiert, sondern von sozialen und psychischen Faktoren mitbestimmt wird. Die Wenigsten von uns können sich bereits in der Pubertät ganz mit dem biologischen Geschlecht identifizieren, und oft kann es Jahre dauern, bis wir uns im eigenen Geschlecht wohlfühlen. Die Tierwelt zeigt, dass Geschlechtszugehörigkeit nicht starr, sondern variabel ist. Für die Geschlechtsidentität sollten wir uns Zeit lassen können, denn eine Persönlichkeit muss nicht an ein Geschlecht gebunden sein.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-Sibylla Lotter ab.