Alles oder nichts
Die Linke kämpft um ihre Existenz. Beim Bundesparteitag in zehn Tagen bestimmt die Partei eine neue Führung und will alten Streit hinter sich lassen.
BERLIN Für die Linke wird es hart. Die Partei steckt in einem politischen Überlebenskampf. Ausgang offen, auch wenn Janine Wissler, die derzeit die Partei alleine führt, immer wieder gerne auf das Potenzial hinweist. Nach einer Umfrage im Auftrag der Rosa-LuxemburgStiftung könnten sich 18 Prozent der Wahlberechtigten vorstellen, die Linke zu wählen. Sie tun es nur nicht. Im Karl-Liebknecht-Haus verweist man trotzdem gerne darauf, dass die Linke aktuell noch an vier Landesregierungen beteiligt ist.
Doch Wahlniederlage reiht sich an Wahlniederlage: erst im Bund, dann im Saarland, ihrer einstigen Hochburg im Westen, dann in SchleswigHolstein, dann in NRW. Im Bund retteten nur drei direkt gewonnene Mandate der Genossen Gregor Gysi und Sören Pellmann sowie der Genossin Gesine Lötzsch den Fraktionsstatus im Bundestag. Zuletzt erschütterte ein Skandal um sexuelle Übergriffe in mehreren Landesverbänden die Partei.
Nun will die Linke beim Bundesparteitag Ende Juni in Erfurt einen Aufbruch schaffen. Es geht um alles oder nichts. Nach vielen Jahren eines zermürbenden und quälenden Streits auch zwischen Partei- und Fraktionsführung wird eine neue Parteiführung gesucht. Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow war im April völlig überraschend zurückgetreten und hatte damit selbst ihre Mitstreiterin Janine Wissler kalt erwischt. Hennig-Wellsow und Wissler waren erst im Februar 2021 als erste weibliche Doppelspitze der Linken mit dem Ziel angetreten, die Partei wieder zusammenzuführen. Doch Hennig-Wellsow warf entnervt hin. Mission gescheitert.
Seither führt Wissler als Vorsitzende die Partei alleine. Sie muss in Erfurt wohl durch eine Kampfkandidatur. Die niedersächsische Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek fordert sie heraus. „Wenn wir die Krise unserer Partei überwinden wollen, muss sich die viel beschworene Erneuerung auch im Parteivorstand widerspiegeln“, begründet Reichinnek ihre Kandidatur. Zudem bewerben sich auch der Europaabgeordnete Martin Schirdewan und der Leipziger Bundestagsabgeordnete Pellmann. Pellmann hatte sich mit der einstigen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und fünf weiteren Mitstreitern gegen die Linie der Partei- und Fraktionsspitze
gestellt und den USA eine Mitverantwortung am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gegeben. Die einstige Linke-Galionsfigur Gregor Gysi äußerte sich darüber „entsetzt“. Die neue Parteiführung soll nun versuchen, die vielen „Ich-AGs“besser einzubinden, sie mindestens jedoch zur Disziplin zu verdonnern.
Wissler selbst ist gerade auf einer Tour durch den Osten. Dort will sie in Mecklenburg-Vorpommern auch bei der Initiative „Faire Feldarbeit“vorbeischauen. Für den Fall ihrer Wiederwahl muss sie ein Feld mit tiefen Furchen beackern: ihre eigene Partei.