Schuldenbremse wird Zerreißprobe für die Ampel
Bundesfinanzminister Christian Lindner verhandelt im Kabinett über den Haushalt 2023 – und gibt vielen einen Korb.
BERLIN Die Wünsche der Bundesminister für Mehrausgaben gegenüber den Haushalts-Eckwerten summierten sich auf 25 Milliarden Euro, berichtet das „Handelsblatt“. Doch Finanzminister Christian Lindner (FDP) muss sie alle ablehnen, denn er hat keine zusätzlichen 25 Milliarden Euro. 2023 will er nach drei Pandemie-Jahren die Schuldenbremse wieder einhalten. Steuererhöhungen lehnt der FDP-Chef zugleich kategorisch ab. Bei SPD und Grünen liebäugeln jedoch viele mit beidem: die Schuldenbremse müsse wegen des Ukraine-Kriegs auch 2023 ausgesetzt, die Steuern für Reiche erhöht werden. Noch aber hat Lindner die Rückendeckung des Kanzlers.
Noch – denn die Haushaltszwänge werden im weiteren Verlauf des
Jahres absehbar größer werden. Um eine weitere Inflationsbeschleunigung zu vermeiden, plant Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eine „konzertierte Aktion“der Sozialpartner, wie sie 1967 vom damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) erfunden worden war. Gewerkschaften sollen auf übermäßige Lohnforderungen verzichten, Arbeitgeber im Gegenzug Beschäftigung sichern. Der Staat als Dritter im Bunde wird seinen Teil beisteuern und Bürger sowie Unternehmen mit weiteren Entlastungsmaßnahmen unter die Arme greifen müssen.
Denn Ende August laufen Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket aus – und was dann? Weitere Entlastungen haben bereits SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ins Spiel gebracht. So wird gefordert, die Energiepreispauschale von 300 Euro, die bisher nur Erwerbstätige bekommen sollen, auch Rentnerinnen und Rentnern zu gewähren. Lindner lehnt dies mit dem Hinweis auf nicht vorhandene Haushaltsspielräume bisher ab.
Wegen der Unstimmigkeiten kommt der Bundeshaushalt 2023 nun nicht wie geplant am Mittwoch ins Kabinett, sondern erst am 1. Juli. Das Einhalten der Schuldenbremse ist für den FDP-Vorsitzenden eine heilige Kuh: Er hat sich diesem Ziel persönlich so sehr verschrieben, dass ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse sein persönliches Scheitern wäre. Lindner muss die Neuverschuldung von rund 140 Milliarden Euro im kommenden Jahr auf etwa zehn Milliarden drücken.
Die Koalitionspartner wollen dabei aber immer weniger mitspielen. „Wir müssen die massiven Folgen von Corona, Krieg und fossiler Inflation abfedern. Insbesondere arme Menschen und Familien benötigen zusätzliche Unterstützung, denn sie leiden unter den steigenden Lebensmittel- und Energiepreisen am meisten. Für sie brauchen wir weitere gezielte Hilfen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Sven-Christian Kindler. Der Grüne forderte eine generelle Reform der Schuldenbremse, zumindest aber das Aussetzen auch 2023. „In Krisenzeiten darf es keine Sparpolitik geben. In den kommenden Jahren stehen wir vor immensen Herausforderungen, für die jeder Cent benötigt wird. Die Pandemie ist noch lange nicht vorüber, wie wir leider gerade in Portugal sehen. Und auch der schwere Konflikt mit dem russischen Regime wird leider nicht in wenigen Monaten vorbei sein“, sagte Kindler. „In Zeiten der Not setzt man nicht den Rotstift an und suggeriert Normalität, sondern geht die Krisen entschlossen an.“