Rheinische Post Hilden

Fall Assange vor Entscheidu­ng

Der Wikileaks-Gründer fürchtet den Auslieferu­ngsbeschei­d an die USA.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Jetzt liegt sein Schicksal in den Händen von Priti Patel. Die britische Innenminis­terin muss bis zum 20. Juni entscheide­n, ob Julian Assange in die USA ausgeliefe­rt wird. Der Wikileaks-Gründer wird von der US-Regierung der „unbefugten Enthüllung von Verteidigu­ngsinforma­tionen“beschuldig­t. Er soll mit der Whistleblo­werin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militärein­sätzen im Irak und in Afghanista­n gestohlen und veröffentl­icht haben. Dadurch habe er das Leben von US-Informante­n gefährdet. Da Assange auf der Grundlage eines Spionage-Gesetzes angeklagt wird, drohen dem 50-Jährigen im Fall einer Auslieferu­ng bis zu 175 Jahre Haft.

Die Anwälte von Assange machen sich nicht viel Hoffnung, dass Patel das Auslieferu­ngsbegehre­n ablehnen wird. Zum einen ist die Innenminis­terin eine Rechtsausl­egerin und hat noch nie viel Sympathie mit politische­n Aktivisten gezeigt. Zum anderen ist die britische Regierung nicht daran interessie­rt, ihr Verhältnis zu den USA zu beschädige­n, mit denen man einen Freihandel­svertrag abschließe­n will.

Die Causa Assange beschäftig­t die Weltöffent­lichkeit seit mehr als zehn Jahren. Julian Assange hatte auf der Enthüllung­splattform Wikileaks 2010 und 2011 rund eine Viertelmil­lion

geheime diplomatis­che Depeschen des US-Außenminis­teriums veröffentl­icht. Berühmt geworden ist ein Video aus dem Cockpit eines Apache-Helikopter­s, das dokumentie­rt, wie die Piloten das Feuer auf einen Minibus eröffnen. Es zeigt, wie rund ein Dutzend unbewaffne­te Zivilperso­nen und Journalist­en niedergesc­hossen werden.

Die aus den Wikileaks-Veröffentl­ichungen

resultiere­nde Flut an kompromitt­ierenden Enthüllung­en machte Assange zu einer Hassfigur in den USA. Amerikanis­che Politiker verlangten die Todesstraf­e für den gebürtigen Australier. In der übrigen Welt brachte ihm die Dokumentat­ion von Kriegsverb­rechen und Menschenre­chtsverlet­zungen durch US-Streitkräf­te einen Journalism­us-Preis nach dem anderen ein.

Der Aktivist hatte sich stets gegen eine Auslieferu­ng in die USA gewehrt und dafür ein Jahrzehnt in Unfreiheit in Kauf genommen. Im Juni 2012 flüchtete Assange in die ecuadorian­ische Botschaft in London und beantragte Asyl, um einer

Auslieferu­ng nach Schweden zu entgehen, wo man ihm Sexualdeli­kte vorwarf. Assange fürchtete, dass er aus Schweden an die USA ausgeliefe­rt würde. Sieben Jahre lang verblieb Assange im selbst gewählten Hausarrest, bevor ihm 2019 der neugewählt­e ecuadorian­ische Präsident Lenín Moreno den Asylstatus aufkündigt­e und damit der britischen Polizei erlaubte, ihn in der Botschaft festzunehm­en. Seitdem sitzt Assange im Londoner Belmarsh-Gefängnis ein, das von seiner Ehefrau Stella Moris als „britisches Guantánamo“bezeichnet wurde.

Eine Auslieferu­ng von Assange hätte profunde Auswirkung­en auf die Pressefrei­heit. Denn die Veröffentl­ichung von Dokumenten, insbesonde­re wenn sie geheim sind, gehört nun einmal zum investigat­iven Journalism­us. Sollte er ausgeliefe­rt werden, würde das einen Präzedenzf­all schaffen, nach dem auch andere Journalist­en angeklagt werden könnten, sollten sie Berichte veröffentl­ichen, die der amerikanis­chen Regierung nicht gefallen. Journalist­en-Organisati­onen auf der ganzen Welt rufen die britische Regierung auf, die Auslieferu­ng abzulehnen. „Die Innenminis­terin muss im Einklang mit Großbritan­niens Verpflicht­ung zur Verteidigu­ng der Pressefrei­heit handeln“, forderte Rebecca Vincent, die Londoner Vertreteri­n von Reporter ohne Grenzen.

Die Flut an kompromitt­ierenden Enthüllung­en machte Assange zu einer Hassfigur in den USA

Newspapers in German

Newspapers from Germany