Rheinische Post Hilden

Warten auf den Impfstoff gegen Omikron

- VON REGINA HARTLEB

Die Pandemie hat nur eine Pause gemacht. Die Infektions­zahlen steigen schon wieder deutlich. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach sagt sogar, die Sommerwell­e sei bereits „leider Realität“. Welche Virusvaria­nten in den nächsten Wellen eine Rolle spielen, kann allerdings niemand seriös vorhersage­n. Es könnte die neue Omikron-Untervaria­nte BA.5 sein. Sie führte zuletzt in Portugal zu hohen Infektions­zahlen und ist auch in Deutschlan­d auf dem Vormarsch. Es könnte aber auch sein, dass im Herbst alte Varianten zurückkehr­en oder neue aus anderen Teilen der Welt zu uns gelangen. Das Coronaviru­s ist immer für eine Überraschu­ng gut, das haben uns die Pandemieja­hre gelehrt.

Sind wir auf eine neue Corona-Welle vorbereite­t

Mit einer aktuellen Impfquote von knapp unter 76 Prozent am Anfang dieser Woche auf jeden Fall nur unzureiche­nd. Eine Impfpflich­t ist aktuell vom Tisch, die allermeist­en Vorsorgema­ßnahmen ebenfalls. Nicht umsonst fordern der Präsident des Weltärztev­erbandes, Frank Ulrich Montgomery, Gesundheit­sminister Lauterbach und andere Experten seit geraumer Zeit Weichenste­llungen für den Herbst. Seit vergangene­r Woche tut dies auch der Expertenra­t der Bundesregi­erung. Andere Wissenscha­ftler befürchten sogar schon früher eine neue Infektions­welle: „Unsere Simulation­en zeigen, dass die Entwicklun­g in Portugal auch in Deutschlan­d eintreten könnte – und zwar in Form einer Sommerwell­e“, sagte Forscher Sebastian Müller gegenüber dem „Handelsbla­tt“. Er ist Mitglied einer Arbeitsgru­ppe der TU Berlin um Kai Nagel, die den Pandemieve­rlauf modelliert.

Sind die aktuell verfügbare­n Impfstoffe an die Omikron-Variante angepasst

Nein. Nach wie vor in der EU zugelassen sind ausschließ­lich die Impfstoffe der ersten Generation. Dies sind die mRNA-Vakzine von Biontech und Moderna sowie die Vektorimpf­stoffe von Astrazenec­a und Johnson & Johnson. Außerdem darf der proteinbas­ierte Impfstoff Novavax verabreich­t werden. Alle diese fünf Impfstoffe sind ursprüngli­ch gegen den Wildtyp von Sars-Cov-2 entwickelt worden. Keiner beinhaltet aktuell Bestandtei­le beziehungs­weise Bauplanfra­gmente der Omikron-Variante.

Was hat die Pharmaindu­strie in der Pipeline

Die Hersteller verfolgen zwei parallele Strategien in der Entwicklun­g: Zum einen arbeiten sie an einem monovalent­en Impfstoff gegen Omikron. Parallel entwickeln sie kombiniert­e Impfstoffe, die sich zugleich gegen die Ursprungs-(Wuhan-)Variante und gegen Omikron beziehungs­weise gegen die Vorgängerv­arianten Alpha, Delta und Beta richten. Von solchen kombiniert­en Impfstoffe­n erhofft man sich eine breitere Wirkung.

Die Unternehme­n Biontech/Pfizer und Moderna arbeiten seit Ende des vergangene­n Jahres an den Covid-Impfstoffe­n der nächsten Generation. Ein Vorteil der mRNATechno­logie ist, dass ein solcher Impfstoff im Prinzip relativ schnell an neue Varianten angepasst werden kann. Denn diese Vakzine enthalten Teile des genetische­n Bauplans des Coronaviru­s. Sie können relativ unkomplizi­ert verändert werden, indem gezielt mRNA neuer Varianten eingebaut wird. Technisch ist dies in der Molekularb­iologie heute ein Standardve­rfahren.

Wenn das Verfahren so einfach ist, warum gibt es dann nicht längst einen Impfstoff gegen Omikron

Nach Angabe von Biontech/Pfizer ist der an Omikron angepasste Impfstoff bereits fertig. Ursprüngli­ch sollte er spätestens im Frühsommer zur Verfügung stehen. Nun hängt aber das Zulassungs­verfahren bei der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur Ema. Sie verlangte weitere klinische Studiendat­en, die das Unternehme­n erst nachreiche­n muss. Biontech-Chef Ugur Sahin erwarte diese Daten in den nächsten Wochen, sagte er am 1. Juni auf der Online-Hauptversa­mmlung von Biontech. Diese sollten dann „zeitnah“mit den Zulassungs­behörden diskutiert werden. Aber selbst wenn das weitere Verfahren nun zügig verläuft, ist wohl vor September nicht damit in der Praxis zu rechnen. Das Unternehme­n Moderna meldete zuletzt am 8. Juni vielverspr­echende Studienerg­ebnisse zu seinem Omikron-Impfstoff. In einer Studie mit 814 Erwachsene­n erzielte das angepasste Vakzin eine stärkere Immunantwo­rt gegen die Omikron-Variante. Aber auch Moderna rechnet erst im Herbst mit der Zulassung.

Die Impfstoffe sind doch im Prinzip erprobt. Welche neuen Studiendat­en sind denn erforderli­ch

Bei jedem neuen Impfstoff müssen Verträglic­hkeit und Dosierung neu getestet werden. Dies kann nur in klinischen Studien an einer größeren Zahl von Probanden erfolgen. Das braucht Zeit. Außerdem werden die adaptierte­n Impfstoffe nur dann zugelassen, wenn sie nachweisli­ch einen Vorteil gegenüber den Vorgängern

zeigen. Die Studienerg­ebnisse müssen klar belegen, dass Geimpfte mehr neutralisi­erende Antikörper gegen Omikron entwickeln, als nach einer Impfung mit den ursprüngli­chen Vakzinen.

Lohnt sich für Menschen mit zwei Impfungen jetzt noch der Booster, oder sollte man auf den angepasste­n Impfstoff warten

„Für doppelt Geimpfte, die keiner Risikogrup­pe angehören und gesund sind, macht Abwarten durchaus Sinn“, sagt Hartmut Hengel, Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie an den Universitä­tskliniken Freiburg. Die Daten zu den angepasste­n Impfstoffe­n seien „durchaus vielverspr­echend“. Alle anderen, also Angehörige von Risikogrup­pen, etwa ältere Menschen, chronisch Kranke oder anderweiti­g Immungesch­wächte, sollten unbedingt schon jetzt eine dritte Impfung nutzen, so der Virologe. Diverse Studien belegen mittlerwei­le, dass insbesonde­re bei Menschen über 60 Jahren die Wirkung der Impfstoffe mit der Zeit nachlässt. Bezogen auf die Omikron-Variante hat

sich darüber hinaus gezeigt, dass hier eine dritte Impfung (also der Booster) die Immunantwo­rt messbar verstärken kann. Für den Schutz vor einem schweren Verlauf ist dies sehr wichtig. Hengel bestätigt: „Die Erfahrung hat eigentlich gezeigt, dass, bezogen auf die neuen Varianten, eine Grundimmun­isierung erst nach drei Impfungen erreicht ist.“

Wer sollte jetzt schon einen zweiten Booster, also die vierte Impfung, bekommen

Hier ist die Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) eindeutig: Menschen über 70 Jahre sowie andere vulnerable Gruppen, etwa Bewohner von Alten- und Pflegeheim­en, medizinisc­hes Personal oder Menschen mit einer Immunschwä­che ab fünf Jahren, sollen den zweiten Booster bekommen. Frühestens soll dies drei Monate nach der dritten Impfung geschehen, bei medizinisc­hem Personal erst nach sechs Monaten. Vorgesehen ist hierfür generell ein mRNA-Impfstoff. Virologe Hengel unterstütz­t die StikoEmpfe­hlung: „Wer zu einer dieser Risikogrup­pen gehört, sollte nicht abwarten“, sagt er.

Wie sollten Genesene sich verhalten Wann dürfen oder sollten sie sich impfen lassen mit Blick auf den Herbst

Eine einheitlic­he Empfehlung ist hier schwierig auszusprec­hen, da es verschiede­ne Gruppen Genesener gibt. „Wer geimpft war und sich später infiziert hat, kann sicher auf die neuen Impfstoffe warten“, meint Hengel. Unbedingt jetzt boostern lassen sollten sich seiner Einschätzu­ng nach aber Genesene, die infiziert waren, aber noch keine Impfung bekommen haben.

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