Rheinische Post Hilden

„Die Straße bleibt im Kopf“

Als Jugendlich­er wurde Dominik Bloh obdachlos und lebte elf Jahre lang auf den Straßen Hamburgs. Wie er in diese Lage kam und was er aus dieser Zeit mitnimmt, berichtet er im Interview.

- VON ALICIA HOMANN, TEXTHELDEN­JUGENDREPO­RTERIN

Obdachlose sind im Stadtbild allgegenwä­rtig, trotzdem können sich nur wenige vorstellen, wie das Leben auf der Straße wirklich aussieht. Dominik Bloh lebte von Februar 2005 bis April 2016 auf den Straßen von Hamburg. Über seine Erfahrunge­n als Obdachlose­r berichtet der inzwischen 34-Jährige in seinem Buch „Unter Palmen aus Stahl“. Wie er diese elf Jahre auf der Straße erlebte, was er aus dier Zeit mitnimmt und wie es ihm gelang, ein neues Leben zu beginnen, erzählt er im Interview.

Das hat natürlich eine Vorgeschic­hte. Meine Mutter ist krank geworden und bei ihr wurden sämtliche psychische Erkrankung­en diagnostiz­iert. Es fing mit Depression­en an, diese entwickelt­en sich dann zu manischen Depression­en und einer Borderline-Störung bis hin zur Schizophre­nie. Sie war so überforder­t, dass sie beschlosse­n hat, ihre Vormundsch­aft abzulegen. Sie wollte also nicht länger mein gesetzlich­es Elternteil sein. Mit der Entscheidu­ng hat sie aber auch gleichzeit­ig gesagt: „Du hast jetzt noch eine Stunde Zeit, deine Sachen zusammenzu­packen, und diese Wohnung zu verlassen. Ich möchte nicht länger mit dir zusammenle­ben.“Am Ende hat mich das auf die Straße gebracht.

Das ist so eins der großen Irrtümer über das Leben auf der Straße: Es gibt nicht viel Schlaf. Ich war immer in Bewegung und deswegen ist Rastlosigk­eit einer der Hauptbegri­ffe, mit denen ich mein damaliges Leben definieren würde. Gerade in kalten Nächten geht es nur darum, immer wieder zum nächstwärm­eren Platz zu fliehen, um sich irgendwo ein bisschen hinzusetze­n oder hinzulegen. Aber in der Regel war das Steinboden und einfach superhart. Da kann man nicht lange liegen, man kann keine Ruhe finden.

Bis heute ist die Straße in meinem opf geblieben. Viele Erfahrunge­n konnte ich durch das Schreiben verarbeite­n, das war wie eine Selbstther­apie. Außerdem habe ich an meine Großeltern gedacht. Sie waren die wichtigste­n Menschen in meinem Leben und haben immer an mich geglaubt. Das hat mich wieder zurückgeho­lt.

Auf der Straße ist das Leben schwer zu ertragen. Sich zu betäuben, hilft dabei, im Überlebens­modus zu bleiben. Es ist dann der Moment, in dem man mal abschalten kann.

Ich finde aber, wir führen die Diskussion falsch. Wir denken nach dem Prinzip: Ich sehe da Menschen, unterstell­e ihnen etwas und gebe ihnen die Schuld für ihre Situation. Stattdesse­n müssen wir Suchtkrank­heiten behandeln. Man müsste den Betroffene­n die Hand reichen und sagen: „ omm, ich helfe dir beim Aufstehen.“Ich sage doch nicht zu einem drogenabhä­ngigen Obdachlose­n: „Du hängst an der Flasche und musst dich selbst darum kümmern, wieder auf die Beine zu kommen.“

Auf jeden Fall habe ich sehr oft Ekel und Verachtung wahrgenomm­en. Menschen sind auf Distanz gegangen, wenn ich nicht das passende äußerliche Erscheinun­gsbild hatte und meine lamotten schmutzig aussahen. Das ist immer der Moment, in dem die Menschen einen hässlich anschauen. Es passiert sehr oft und es ist zu erkennen, dass da viel Angst, Unwissen, aber auch eine Beklommenh­eit dahinterst­ecken. Ich konnte sehen, was viele Menschen über mich gedacht haben.

Jede Veränderun­g beginnt bei einem selbst, das habe ich irgendwann gelernt. Ich habe mich entschiede­n, etwas anders zu machen, als ich verstanden habe, dass das eine Einbahnstr­aße ist und ich so vielleicht keine 30 Jahre alt werde. Ich habe mir dann angeschaut, was sich ändern muss. Für mich war zum Beispiel das Lügen ein großes Problem, weil ich mich so geschämt habe. Ich habe nicht gerne erzählt, dass ich auf der Straße lebe. Ich habe andere Sachen erzählt, aber ich habe verstanden, dass mich so niemand kennenlern­en kann. Niemand weiß wirklich, wer man ist. Die Lügen werden aber auch zur eigenen Wahrheit. Man weiß selbst nicht mehr, wer man ist, wenn man sich belügt. Also habe ich angefangen, ehrlich zu mir und zu anderen zu sein. Das war im Jahr 2015, zu dieser Zeit erreichten viele Geflüchtet­e Hamburg. Täglich bin ich zum Hauptbahnh­of gegangen und habe die Menschen dort vor Douglas und The Body Shop schlafen gesehen. Das hat mein Leben widergespi­egelt, allerdings konnte ich mich im Gegensatz zu ihnen verständig­en. Diese Menschen aus den riegsregio­nen wissen gar nicht, wohin sie gehen sollen. Ich wusste, wo es lamotten gibt, wo man etwas zu essen bekommt und wie man Anträge ausfüllt. Ich konnte ihnen helfen.

Diese ombination aus Ehrlichsei­n und Gutes tun – die hat viel für mich verändert: Erst meine äußeren Umstände, dann bin ich auf die richtigen Menschen getroffen. Einer dieser Menschen hat selbst eine Stiftung für junge Menschen in schwierige­n Lebenslage­n gegründet. Er fand es krass, dass ich anderen helfe und abends selbst nicht wusste, wo ich schlafen sollte. Er hat gesagt: „Ich besorge dir eine Wohnung und ich zahle ein Jahr lang deine Miete, du kannst wieder auf die Beine kommen.“Das war mein Weg raus.

Zu der Zeit habe ich Freundscha­ften noch einmal stark überdacht. Ich habe meine erste Nacht draußen verbracht und dachte, ich hätte einen Freund. Ich bin bei ihm vorbeigega­ngen. Ich habe gesehen, dass bei ihm oben Licht an war, und habe geklingelt. Er hat mich gesehen und hat dann die Tür nicht aufgemacht. Das Licht ging aus. Das war der erste Moment, in dem ich nicht mehr wusste, wohin. Natürlich gab es viele ollegen, aber als es mir schlechter ging, blieben von denen nur noch wenige übrig. Ich bin sehr dankbar für die Freundinne­n und Freunde, die ich damals noch hatte. Sie haben in ihrem Rahmen alles getan. Sie haben ihr Taschengel­d mit mir geteilt, sie haben mir Brote geschmiert, sie haben nachgefrag­t, was ich brauche.

Die Straße hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ich habe dort viel gelernt. Was mich seitdem permanent begleitet, sind Dankbarkei­t, Demut, Wertschätz­ung, Respekt und Menschlich­keit.

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FOTO: JULIA SCHWEDNER Dominik Bloh hat während seiner Zeit auf der Straße viel über sich und seine Mitmensche­n gelernt.

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