Gefangen in der Lohn-Preis-Spirale
Das satte Lohnplus von 6,5 Prozent für die Stahlkocher ist der Startschuss für andere Branchen. Deutschland droht ein Rückfall in die 70er-Jahre. Schuld ist die EZB – ihre Zögerlichkeit hat die Tarifpartner verstört.
Jörg Hofmann kann es kaum fassen: 6,5 Prozent mehr Lohn holte seine Gewerkschaft für die Stahlkocher heraus: „Das ist die höchste prozentuale Entgeltsteigerung in der Stahlindustrie seit 30 Jahren“, freute sich der Chef der mächtigen IG Metall. Zudem gibt es für Juni und Juli einen Energiebonus von 500 Euro. Und ein Stahl-Abschluss ist immer ein Signal: Weil die gewerkschaftlich gut organisierte Branche auslotet, was in Deutschland an Lohnerhöhung möglich ist. Und weil nun der Startschuss für alle fällt, Ähnliches zu versuchen.
„Der Stahl-Abschluss ist hoch, allerdings gemildert durch eine vergleichsweise lange Laufzeit“, sagt Hagen Lesch, der Tarifexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). 18 Monate beträgt diese: „Dennoch sind wir nun in einer Preis-Lohn-Spirale angekommen. Die Gewerkschaften streben vermehrt an, die hohe Inflation durch höhere Löhne auszugleichen.“Das ist das, was Volkswirte am meisten fürchten: Es kommt – aus welchen Gründen auch immer – zu Preissteigerungen, die sich durch die Lieferketten wälzen. Um die Reallöhne zu sichern, setzen die Gewerkschaften hohe Löhne durch. Wenn es dann den Unternehmen gelingt, die Lohnsteigerungen erneut auf die Preise zu schlagen und weiterzugeben, kommt die Preis-Lohn-Preis-Spirale richtig in Schwung.
Als nächstes Großereignis stehen die Verhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie an, wo es um Millionen Beschäftigte geht. Lesch warnt zwar: „Für die Metall- und Elektroindustrie kann dieses Ergebnis keine Blaupause sein. Diese Branche ist weniger homogen als die Stahlbranche, hier gibt es auch viele Unternehmen, darunter auch Mittelständler, denen es nicht so gut geht.“
Doch die IG Metall wird eine Wiederholung versuchen; Hofmann hat für die größte Tarifrunde des Jahres bereits mindestens sieben Prozent mehr Geld gefordert. Auch Verdi-Chef Frank Werneke kündigte jüngst an, man strebe in den anstehenden Tarifverhandlungen einen vollen Lohnausgleich zur hohen Inflation an. Ende des Jahres geht es etwa um den öffentlichen Dienst.
Andere sind weniger pessimistisch. „Auch wenn der Abschluss in der Stahlindustrie auf den ersten Blick sehr hoch erscheint, geht von ihm keinerlei Gefahr einer Preis-Lohn-Spirale aus“, meint der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie (IMK), Sebastian Dullien. Man müsse ihn im Zusammenhang mit den Vorjahren sehen: „Der letzte Abschluss aus 2021 beinhaltete lediglich Einmalzahlungen, sodass die 6,5 Prozent keine Erhöhung zum Vorjahr, sondern auf die Gehaltstabellen darstellen, die bereits Ende 2020 gültig waren.“
Für die hohe Inflation gibt es viele Gründe: Die Energiepreise sind seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine kräftig gestiegen. Zudem steigen die Energiepreise politisch gewollt von Jahr zu Jahr durch die Anhebung der CO2-Abgabe, um Bürger und Firmen zum Energiesparen anzuregen. Durch die Corona-Pandemie und die wiederholten Lockdowns in China sind die Lieferketten nachhaltig gestört oder gar gerissen. Vorprodukte werden immer teurer.
Doch vor allem hat die Europäische Zentralbank (EZB) versagt. Lange, zu lange hat sie den Preisanstieg als temporäres Problem angesehen, das sich von alleine lösen wird. In der Tat kann die EZB den Anstieg der Energiepreise nicht stoppen. Aber sie kann die Inflationserwartungen beeinflussen. Durch ihre Zögerlichkeit aber hat sie auch die Tarifpartner verstört. „Am Ende kommt es auf die Europäische Zentralbank an.
Tarifexperte am IW
Wenn sie es nicht schafft, die Inflationserwartungen niedrig zu halten, werden die Gewerkschaften immer höhere Lohnforderungen stellen“, warnt IW-Forscher Lesch: „Da werden Erinnerungen an die Kluncker-Runde aus dem Jahr 1974 wach, als es im öffentlichen Dienst einen Abschluss von mehr als zwölf Prozent gab.“Heinz Kluncker war damals Chef der Gewerkschaft ÖTV, die später in Verdi aufging. Mit einem mehrtägigen Streik der Müllwerker und Straßenbahner erreichte er den gewaltigen Abschluss im öffentlichen Dienst. Es kam zu Inflation und Stagnation der Wirtschaftsleistung – die Stagflation lähmte das Land. Dann sagte die Deutsche Bundesbank der Inflation den Kampf an.
Daraus sollte die EZB eigentlich gelernt haben. Seit Jahren ist der Leitzins in der Eurozone bei null, die Einlagenzinsen sind negativ. Das passt so gar nicht zu einer Inflationsrate, die im Mai bundesweit bei 7,9 Prozent lag. Für das Gesamtjahr erwartet das RWI-LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung eine Inflationsrate von 6,9 Prozent, das Institut für Weltwirtschaft gar 7,4 Prozent. Doch EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihre Kollegen winden sich aus Sorgen vor einer Rückkehr der Schuldenkrise in den südeuropäischen Staaten. Im Juli will die EZB nun endlich die Leitzinsen anheben, allerdings nur um mickrige 0,25 Prozentpunkte. Zudem beendet sie ihre Anleihenkäufe.
Wenn die Gewerkschaften erwarten, dass die Zentralbank die Inflation nicht in den Griff bekommt, greifen sie zur Selbstverteidigung und versuchen, den Preisauftrieb über die Tarifpolitik aufzufangen. Darum ist es so wichtig, dass die Europäische Zentralbank die Inflationserwartungen bricht. Und darum ist es so schädlich, wenn Lagarde von vorübergehenden Problemen durch die Pandemie spricht. So sorgt die EZB dafür, dass sich über hohe Erwartungen die Inflation verfestigt. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, für die Sparer und Verbraucher teuer zahlen müssen.
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