Merkels Formfehler
Politiker müssen glasklar trennen, ob sie sich in der Öffentlichkeit als Parteimitglieder äußern oder in der Rolle und damit auch mit der Autorität eines Amtes, in das sie gewählt wurden. Dieses wichtige demokratische Prinzip hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem aktuellen Urteil zu einer Äußerung Angela Merkels über die AfD starkgemacht. Die damalige Bundeskanzlerin hatte sich zur Wahl des Liberalen Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen geäußert und den Vorgang „unverzeihlich“genannt. Ihr Satz, dass sie sich kurz zu etwas Innenpolitischem äußern wolle, hat einer knappen Mehrheit der Richter nicht genügt, um den Unterschied zwischen Amt und Parteipolitik deutlich zu machen. Verfassungsrechtlich hat Merkel damit das Recht aller Parteien auf Chancengleichheit verletzt. Sie hat mit dem Ansehensbonus ihres Amtes einen politischen Gegner abqualifiziert. Das Gericht hat der AfD also aus nachvollziehbaren Gründen recht gegeben.
Inhalte hat das Gericht damit aber nicht beurteilt. Merkel hätte die AfD nicht als Kanzlerin abqualifizieren dürfen, aber natürlich musste sie als wichtiges Mitglied der CDU Stellung beziehen. Die Wahl Kemmerichs nannte sie einen Vorgang, „der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mithilfe der AfD gewonnen werden sollen“; sie sprach von einem „schlechten Tag für die Demokratie“. Das war die überfällige Abgrenzung einer CDU-Spitzenpolitikerin gegen rechts, die eigentlich Aufgabe der damaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gewesen wäre. Doch der fehlte es schon an Autorität. Merkels Worte hätten sicher denselben Widerhall gehabt, wenn sie ihre Aussagen deutlicher vom Amt getrennt hätte. Es war also ein Formfehler. Jedoch einer, der viel über die Verführungen der Macht verrät.