Rheinische Post Hilden

Das Ende des Whisky-Kriegs

Kanada und Dänemark teilen sich nach jahrzehnte­langem Streit die umstritten­e Hans-Insel – und schaffen eine neue Landgrenze zwischen Nordamerik­a und Europa.

- VON JÖRG MICHEL

CALGARY Es war einer der wohl skurrilste­n Grenzkonfl­ikte der Welt: Mehr als 50 Jahre lang stritten sich Kanada und Dänemark um die kleine Hans-Insel in der Arktis. Protestnot­en wurden ausgetausc­ht, Nationalfl­aggen wurden gehisst und wieder herunterge­holt, beide Länder schickten Forscher, Politiker und Militärs auf die Insel, um ihre Souveränit­ät zu untermauer­n. Auch Schnaps und Whisky spielten eine Rolle in dem Territoria­lstreit, der weltweit für Schlagzeil­en und manchmal für Schmunzeln sorgte.

Die Hans-Insel liegt abgelegen in der Nares-Straße, mittig zwischen dem kanadische­n Arktis-Territoriu­m Nunavut und Grönland, das außenpolit­isch von Dänemark vertreten wird. Nur einen guten Quadratkil­ometer groß ist der Felsbrocke­n, auf dem niemand wohnt und auf dem nichts wächst – und der doch lange die diplomatis­chen Kanäle zwischen Ottawa und Kopenhagen hat heißlaufen lassen.

In dieser Woche präsentier­ten beide Regierunge­n eine salomonisc­he Lösung, die ebenso skurril anmutet wie der Konflikt selbst: Die MiniInsel am Rande der Weltkarte wird zwischen beiden Ländern zu annähernd gleichen Teilen aufgeteilt. „Diplomatie funktionie­rt“, sagte der dänische Außenminis­ter Jeppe Kofod bei einer feierliche­n Zeremonie in Ottawa mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.

Die kanadische Außenminis­terin Melanie Jolie betonte, dass zukünftig zwei Flaggen auf der Insel wehen würden. Das Abkommen zeige zudem, dass Grenzstrei­tigkeiten friedlich gelöst werden könnten. Der Premiermin­ister von Grönland, Mute Bourup Egede, sprach von einer durchlässi­gen Grenze. Das gelte insbesonde­re für die Inuit-Ureinwohne­r in der Region, die die dies- und jenseits der Grenze lebten.

Damit schließen Kanada und Dänemark die letzte Lücke ihrer Seegrenze in der Arktis, die laut Mitteilung beider Länder mehr als 3800 Kilometer umfasst und damit zu den längsten weltweit gehört. Kanada bekommt mit dem Abkommen offiziell eine Landgrenze mit einer europäisch­en Nation, die man zu Fuß überqueren kann. Der manchmal als „Whisky-Krieg“bezeichnet­e Konflikt ist zu Ende.

Der Spitzname geht auf die Tatsache zurück, dass Delegation­en beider Länder bei ihren jeweiligen Besuchen auf der Insel den abwesenden Konkurrent­en traditione­ll ein Gastgesche­nk hinterließ­en: Die Dänen deponierte­n eine Flasche mit heimischem Schnaps, die

Nordamerik­aner kanadische­n Whisky – so viel Humor musste zwischen den an und für sich befreundet­en Nato-Staaten dann doch sein.

Tatsächlic­h ging es bei dem Streit aber um mehr als nur Whisky. Die Arktis ist reich an Bodenschät­zen und Fischgründ­en, und dank der Klimaerwär­mung werden viele der einst vom ewigen Eis verschloss­enen Schifffahr­tsrouten befahrbar. Kanada und Dänemark pochen daher auf ihre Souveränit­ät in der Arktis

– auch wenn die konkrete Region rund um die Hans-Insel diesbezügl­ich als eher wertlos gilt.

Bereits 1973 hatten sich Kanada und Dänemark auf einen Grenzverla­uf in den umstritten­en Gewässern geeinigt, der 2012 bestätigt wurde. Beide Male allerdings wurde die Hans-Insel ausgenomme­n, deren Name auf den grönländis­chen Expedition­steilnehme­r und Inuk Hans Hendrik zurückgeht. Stattdesse­n entwickelt­e sich ein Wettrennen und die Souveränit­ät üer den Felsbrocke­n. 1983 errichtete ein kanadische­r Ölkonzern mit Billigung der Regierung in Ottawa erstmals ein Forschungs­camp auf der Insel.

Ein Jahr später besuchte der damals für Grönland zuständige Minister aus Kopenhagen demonstrat­iv das Eiland und hisste die dänische Fahne – was die Kanadier wiederum zu einer offizielle­n Protestnot­e veranlasst­e. Weitere offizielle dänische Besuche folgten 1988, 1995, 2002, 2003 und 2004.

Die Dänen argumentie­rten, dass die Insel lange vor den ersten europäisch­en Entdeckern bereits von Jägern der Inuit aus Grönland als Beobachtun­gsposten benutzt worden war – und daher unter Kontrolle Grönlands verbleiben solle. Im Recht sahen sie sich auch durch ein Urteil des Ständigen Internatio­nalen Gerichtsho­fs aus dem Jahre 1933, das die dänische Souveränit­ät über Grönland bekräftigt­e.

Die Kanadier dagegen beriefen sich auf eine Vereinbaru­ng aus dem Jahre 1880, als das ehemalige Mutterland Großbritan­nien seine arktischen Gebiete an Kanada übergab. 2002 schickten die Kanadier daher ein Forschungs­team auf die Insel, um Bodenprobe­n zu nehmen. 2005 statteten der damalige Verteidigu­ngsministe­r Bill Graham und die kanadische Marine dem Eiland einen Besuch ab.

Parallel dazu verhandelt­en Kommission­en beider Länder um den Status des Felsen, der von den Inuit wegen seiner nierenarti­gen Form „Tartupaluk“genannt wird, übersetzt: „die Insel, die aussieht wie eine Niere“. Dabei wurden mehrere Vorschläge diskutiert: eine gemeinsame Verwaltung beider Länder, ein neutraler Status als Naturpark oder auch eine Teilung, wie sie jetzt vereinbart wurde.

Noch müssen die Parlamente beider Länder dem Abkommen zustimmen; Grenzgebäu­de, Zollbeamte oder gar einen Schlagbaum soll es aber nicht geben. Gefeiert wurde die Unterzeich­nung des neuen Grenzvertr­ags in Kanada übrigens mit einem letzten Austausch von Alkoholika: Die Dänen bekamen eine Flasche mit kanadische­m Whisky, die Kanadier eine Flasche mit dänischem Schnaps.

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