Flicks Lehren für die WM
Die deutsche Nationalmannschaft brachte in Mönchengladbach beim 5:2 gegen Italien ihr Potenzial auf den Platz und machte klar, wozu sie an guten Tagen in der Lage ist. Doch zeigte sich auch, welche Defizite es noch gibt.
MÖNCHENGLADBACH Der Bundestrainer war zufrieden. Hansi Flick nimmt das mit in die vorweltmeisterschaftliche Sommerpause seiner Nationalmannschaft, was er sich erhofft hatte. „Ein gutes Gefühl“, sagte er nach dem spektakulären 5:2 gegen Italien, sogar ein „Supergefühl“, wie er nachschob. Während die „Squadra Azzurra“ob der höchsten Niederlage gegen Deutschland seit 1939 harsch angegangen wird in der heimatlichen Presse, war das letzte der vier Nations-League-Spiele für das deutsche Team ein brauchbarer Abschluss der Runde mit Blick auf die WM.
Nun wiegt der Kantersieg Niederlagen gegen Italien wie die im WMFinale 1982 oder in den Halbfinals von 1970 und 2006 und im EMHalbfinale 2012 nicht auf. Und ganz sicher hat die aktuelle Auswahl Italiens nicht das Format italienischer Teams der Vergangenheit. Dennoch geht der Abend in Mönchengladbach in die Geschichte ein, ist es doch der erste Sieg unter Flick gegen einen Großen des Weltfußballs.
Und es war der positive, fast schon lustvolle Abschluss einer zuvor sehr unentschiedenen Zeit auf dem Weg zur WM mit drei wechselhaften 1:1-Ergebnissen. „Wir haben alles, um an einem guten Tag jeden schlagen zu können“, sagte Thomas Müller, der gegen Italien ebenso traf wie Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan (per Elfmeter) und Timo Werner, der mit seinem Doppelpack das zwischenzeitliche 5:0 herausschoss. Dass die deutsche Mannschaft dieses Potenzial hat, ist indes keine ganz neue Erkenntnis, nur geht es oft darum, es dann bitte schön auch auf den Rasen zu bringen. Das schafften die Herren in den weißen Hemden gegen Italien weit besser als zuvor.
„Wir haben richtig guten Fußball gespielt“, befand Gündogan. Er selbst hat nachgewiesen, dass er wichtig sein kann für das Team, mit Kimmich war Gündogan ein starker Antreiber im zentralen Mittelfeld, mit Manuel Neuer und Antonio Rüdiger dahinter und Müller davor hat das Achsen-Qualität. Thomas Müller attestiert seinem Team „sachlichen Mut statt emotionalen“– und genau diese Sachlichkeit ist nötig, um bei einer WM erfolgreich zu sein. Sachlichkeit muss Spielfreude und Kreativität nicht verdrängen, sie kann sie kanalisieren, das zeigte sich gegen Italien. In den richtigen Momenten war das DFBTeam emotional, ließ sich aber davon nicht verführen, sondern war wenn nötig ganz pragmatisch.
Flicks Team nutzte seine Ballbesitzphasen, um sich den Gegner zurechtzulegen, stresste ihn aber auch, wenn er den Ball hatte mit gut getimtem Pressing. Deutschland spielte im Borussia-Pak, wie man spielen muss, wenn man etwas Großes erreichen will. Zumal mit einem Manuel Neuer im Tor, der laut Flick „absolute Weltklasse in der Torverhinderung und mit dem Fuß ist“und so ein großes Pfund für die WM.
Doch weiß Müller, einer der aktivsten Titel-Sammler des deutschen Fußballs, dass der Glanz des Sieges nicht die Realität vernebeln darf, die in den drei Spielen überwog. „Wir haben ein gutes Projekt am Laufen, aber auch, so ehrlich muss man sein, noch allerhand Defizite, um von einer perfekten Mannschaft, von Souveränität und von einer ,Uns kann keiner schlagen‘-Mentalität zu sprechen.“
Flick wollte an diesem Feierabend nicht über Defizite sprechen, doch gab es wie gegen England, als Harry Kanes Elfmeter noch den Sieg kostete, wieder späte Gegentore. Spannung und Konzentration ließen zum Ende nach, so wurde statt eines Rekord-Ergebnisses gegen Italien „nur“ein 83 Jahre alter Rekord aus dem Jahr 1939 eingestellt, als Deutschland in Berlin ebenfalls mit
5:2 gegen die Azzurri gewann. Um Geschichte zu schreiben, braucht es absolute Konstanz bis zuletzt, das war eine der wichtigen NebenLehren des Sieges.
Flick ist als Bundestrainer weiter unbesiegt, dieser Nimbus hat gehalten in der laufenden Nations League. Spieler wie Jonas Hofmann, der mit seinen Toren gegen England und in Ungarn (jeweils 1:1) dazu beitrug und nun auch gegen Italien einen Assist einsammelte, weil er vor Gündogans Elfmetertor der Gefoulte war, ist einer der Gewinner dieser Phase. Flick weiß, dass er im Gladbacher einen verlässlichen und flexiblen Mann im Team hat, der den Konkurrenzkampf mächtig ankurbelt.
Timo Werners Doppelpack an einem Abend der lange nicht seiner war, war gut fürs Gemüt des Stürmers. Ihm war die Erleichterung anzusehen, die Art, wie die Kollegen ihn beglückwünschten, zeigte Teamgeist. Werner, der wie Leroy Sané das Vertrauen des Trainers hat. Es ist richtig, dass der Bundestrainer, der Werner spielen ließ, bis er seine Tore beisammen hatte, den Seinen Vertrauen schenkt auch wenn es nicht läuft. Geduld ist auch für einen Trainer ein Faktor.
Flick wollte im Fall Sanés der in gewisser Weise einen psychologischen Effekt erzwingen, als er ihn durchspielen ließ. Er habe gehofft, dass auch Sané noch ein Tor macht, gab Flick zu. Doch wird, auch das ist eine Erkenntnis des Abends in Gladbach, Sané vorerst ein Wiederaufbau-Projekt bleiben.