Brunetti und die Gier der Gutmenschen
Donna Leons Kultfigur hat es im neuen Roman mit einem leidigen Freundschaftsdienst zu tun.
DÜSSELDORF Commissario Brunetti ist vollständig geimpft. So viel vorneweg. Und damit wäre auch klar, dass in seinem 31. Fall, „Milde Gaben“, die Pandemie in Venedig angekommen ist. Restaurants bleiben zu, Geschäfte melden Konkurs an. Sieht man von den Betrugsfällen ab, bei denen unberechtigterweise Corona-Hilfen abgegriffen werden, nehmen selbst die Straftaten ab in der Serenissima. Der Commissario hat also viel Zeit, um für seine alte Bekannte Elisabetta Foscarini einen Freundschaftsdienst zu erledigen.
Die ist mit dem angesehenen Geschäftsmann Bruno del Balzo verheiratet, der eine wohltätige Stiftung gegründet hat und damit ein Krankenhaus in Belize unterstützt. Jetzt steht Elisabetta vor Brunetti und klagt ihm ihr Leid, weil sie glaubt, ihre Tochter Flora sei in Gefahr. „Ihr Mann hat etwas gesagt, das sie das Schlimmste befürchten lässt.“Mehr aber will dieser Enrico Fenzo nicht verlauten lassen. Er erklärt, er habe Ärger auf der Arbeit und wolle nicht darüber sprechen. Hat es etwas mit seiner Tätigkeit als Buchhalter zu tun? Damit, dass er eine Zeit lang für die Stiftung seines Schwiegervaters die Finanzen erledigte? Mit Griffoni und Vianello nimmt Brunetti die Ermittlungen auf – eher privat, nicht als offizieller Fall, der in die Akten eingeht.
Wie immer in den Krimis der in New Jersey geborenen Donna Leon geht es weniger um Verbrechen als darum, Venedig ins Bild zu setzen und die dort lebenden Menschen zu charakterisieren. Als Donna Leon 23 war, fragte eine Freundin sie, ob sie nicht nach Rom mitkommen wolle, um dort zu studieren. Seitdem liebt sie Italien und die Italiener, diese, wie sie sie nennt, „archaischen Lebenskünstler“. Länger als 30 Jahre lebte die Amerikanerin in Venedig und unterrichtete englische Literatur in Vicenza, bevor sie 2015 wegen der vielen Touristen floh und sich in Graubünden ein Haus kaufte.
Von der Pandemie hat sich Donna Leon inspirieren lassen zu ihrer ganz eigenen Geschichte über Gier und Gutmenschen. Einmal mehr prallen im Roman Schichten aufeinander, und die Reichen entpuppen sich nicht unbedingt als die moralisch gefestigteren Menschen. Am Ende sehnt sich Brunetti beinahe nach den sonst eher lästigen Touristen.
Donna Leon übrigens hat die Zeit während des Lockdowns natürlich zum Schreiben genutzt: Im August erscheint mit „Ein Leben in Geschichten“ein Buch mit autobiografischen Geschichten der Bestsellerautorin, die am 28. September ihren 80. Geburtstag feiert.