Rheinische Post Hilden

Ein Taschendie­b trifft ins Herz

Was, wenn man dem Menschen wiederbege­gnet, der einen gerade bestohlen hat? Der neue Film von Nicolette Krebitz findet darauf eine eigentümli­che Antwort.

- VON JULIA KILIAN

(dpa) Regisseuri­n Nicolette Krebitz ist vor Jahren etwas Ungewöhnli­ches passiert. Sie habe selbst mal einen Taschendie­b verfolgt – und daraus sei später die Idee zu ihrem neuen Film entstanden. „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“erzählt eine Liebesgesc­hichte zwischen einer älteren Schauspiel­erin (Sophie Rois) und einem jungen Mann (Milan Herms), der ihr die Tasche klaut. Vier Monate nach der Berlinale kommt der Film nun ins Kino.

Rois‘ Filmfigur wirkt wie aus der Zeit gefallen. Anna lebt in einer großen Berliner Altbauwohn­ung, ist aber so pleite, dass schon eine kaputte Waschmasch­ine nach Existenzkr­ise schreit. Begegnet sie anderen Menschen, streckt sie ihnen geziert ihre Finger entgegen, um einen Handkuss zu bekommen. Anna kocht mit Schürze und versteckt ihre Zigaretten auf dem Küchenschr­ank. Ihre Wohnung hat ein bisschen was von Designmuse­um. Und schon vor Jahren hat sie Moderatore­n im Fernsehen für sexistisch­es Verhalten zurechtges­tutzt. Wenn sie die Ausschnitt­e von damals heute jemandem zeigen will, legt sie eine Videokasse­tte ein.

„Das mochte ich von Anfang, dass es eine Frau ist, die nicht noch irgendwo mitmachen möchte“, sagte Rois (61) der „Berliner Zeitung“: „Die hat bessere Zeiten gesehen, die hat lustige, schöne Dinge gemacht in ihrer Vergangenh­eit. Doch jetzt ist sie an einem anderen Punkt.“Anna trete den Zumutungen ihres Berufs mit einer gewissen Arroganz gegenüber, liege lieber ihrem Vermieter auf der Tasche, gehe in die „Paris Bar“, statt sich in den nächsten

Fernsehkri­mi einzuklage­n. Als ihr eines Abends jemand auf der Straße die Handtasche klaut, erzählt sie ihrem Vermieter (Udo Kier) davon. „Das Verrückte ist“, bemerkt sie verwundert, „ich hatte überhaupt keine Angst. Ich war bereit zu sterben“. Als Anna kurz darauf widerwilli­g einen Job annimmt, steht der Taschendie­b plötzlich wieder vor ihr: Sie soll ihm Sprechunte­rricht geben, für eine Theaterauf­führung in der Schule.

Während die beiden miteinande­r üben, entwickelt sich eine ungewöhnli­che Beziehung. „Alles fängt mit A an – das Leben, der Schmerz, die Erkenntnis und die Liebe“, heißt es an einer Stelle. Der Film hat etwas von einem mal überdrehte­n, mal melancholi­schen Märchen. Man kann ihn schauspiel­erisch steif und die Erzählung konstruier­t finden. Aber der Film hat viele Szenen, die in Erinnerung bleiben und auch als Kommentare auf die heutige Welt taugen.

Regisseuri­n Krebitz (49) hat mit „Wild“bereits eine besondere Liebesgesc­hichte gedreht – darin verliebte sich eine Frau in einen Wolf.

Ihr neuer Film hat nicht die gleiche Wucht, aber eine andere Qualität. Er ist leicht geworden, etwas absurd. Man kann den Film auch als Protest dagegen deuten, dass Frauen jenseits der Jugend oft als nicht mehr begehrensw­ert abgestempe­lt werden. Krebitz hat ihre eigene Erfahrung mit einem Taschendie­b in Italien gemacht. „Ich habe mal in Venedig gedreht und vor meiner Nase wurde einer Dame eine Handtasche gestohlen“, berichtete sie der Berlinale: „Ich bin dem Dieb hinterher gelaufen und konnte ihn tatsächlic­h in einer Gasse stellen.“Sie habe also plötzlich vor ihm gestanden. „Er tat mir leid, aber ich fand ihn auch super schön und ich hatte natürlich auch Angst vor ihm.“Zum Glück sei ihr der damalige Kameramann hinterherg­elaufen und habe die Situation aufgelöst. „Vielleicht wäre ich sonst auch mit dem Dieb durchgebra­nnt. Man weiß es nicht...“

A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe, Deutschlan­d 2022 – Regie: Nicolette Krebitz; mit Sophie Rois, Milan Herms, Udo Kier; 105 Minuten

 ?? FOTO: VORSCHNEID­ER/DPA ?? Anna (Sophie Rois) begegnet dem Taschendie­b Adrian (Milan Herms) wieder. Die beiden entwickeln eine ungewöhnli­che Beziehung.
FOTO: VORSCHNEID­ER/DPA Anna (Sophie Rois) begegnet dem Taschendie­b Adrian (Milan Herms) wieder. Die beiden entwickeln eine ungewöhnli­che Beziehung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany