Rheinische Post Hilden

Im Himmel der 88 Tasten

Alexandre Kantorow spielte beim Klavierfes­tival im Robert-Schumann-Saal.

- VON LARS WALLERANG

DÜSSELDORF Mit 22 Jahren gewann er den Tschaikows­ki-Wettbewerb in Moskau (2019), jetzt, im Alter von 25, debütierte er beim Klavierfes­tival Ruhr im Düsseldorf­er RobertSchu­mann-Saal: der französisc­he Pianist Alexandre Kantorow. Er war für die erkrankte Maria João Pires eingesprun­gen, und so bedauerlic­h es auch sein mag, auf ein Recital mit der feinsinnig­en portugiesi­schen Pianistin verzichten zu müssen – ihre Vertretung bot würdigen Ersatz, wenn auch in ganz anderem Musizierst­il.

Kantorow hatte sehr anspruchsv­olle Klavierwer­ke der Romantik aufs Programm gesetzt, vor allem Großformat­iges von Franz Liszt und Robert Schumann. Allein dies ließ auf einen Virtuosen schließen, ohne Furcht vor steilen KlavierKli­ppen. Machte es sich der Pianist schon allein durch die Repertoire-Wahl nicht leicht, so gönnte er sich auch bei den Tempi keinerlei Marscherle­ichterung. Die sonatenart­ige Dante-Fantasie aus dem Italien-Teil von Liszts „Années de pèlerinage“, die den dramaturgi­schen Höhepunkt des Abends bildete, gestaltete er wie einen Thriller mit Showdown.

Vor allem die Schlusspas­sage spielte der junge Virtuose mit kraftvolle­m Fortissimo. Es schien, als wolle er mit jedem der gewaltigen Liszt-Akkorde noch mehr Klang aus dem Flügel heraushole­n. Dabei hatten die beherzten Griffe in die Tasten etwas von Raubtier-Bezwingung. Kantorow spielte nicht einfach brav den Notentext, er mischte musikalisc­h mit. Zwar änderte er keine Note, doch beim Tempo ließ er sich große Freiheiten. Mal fügte er kleine Kunstpause­n ein, mal gab er kräftig Gas und fuhr volles Risiko.

Nun kann solche Verve auch schon mal sich selbst im Wege stehen und musikalisc­hes Selbstbewu­sstsein in einem juvenilen Welterklär­er-Gestus münden. In Schumanns Sonate fis-Moll op. 11 brachte Kantorow zwar viel Leidenscha­ft ein und beleuchtet­e interessan­te Details, doch wirkte die Interpreta­tion nicht wie aus einem Guss, sondern zerklüftet. Stellenwei­se hatte diese Spielweise ihren Reiz, doch der große Spannungsb­ogen

wollte bei Schumann nicht entstehen.

Umso mitreißend­er gelang Alexander Skrjabins mystisch-feuriges Klavierstü­ck „Vers la flamme“op. 72. Expression­istische Musik bedarf ja auch einer persönlich­keitsstark­en Interpreta­tion. Hier schien Kantorow ganz in seinem Element. Das galt auch für die letzte Zugabe: Igor Strawinsky­s „Feuervogel“. Kantorow spielte daraus den hymnischen Schluss in einer furiosen Transkript­ion für Klavier. Aus dem Flügel schien ein großes Orchester herauszust­eigen, ein Effekt, der normalerwe­ise nur mit zwei Flügeln und zwei Pianisten zu erzeugen ist. Kantorow begab sich alleine auf den Höhenflug, nahm das Publikum mit in den Himmel der 88 Tasten.

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FOTO: PETER WIELER Alexandre Kantorow am Flügel im Schumann-Saal.

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