Rheinische Post Hilden

Ein überfällig­es Signal an Kiew

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat sich durchgerun­gen: Sein Besuch in Kiew kam spät, aber gerade noch rechtzeiti­g. Die Reise des deutschen Regierungs­chefs, des französisc­hen Präsidente­n und des italienisc­hen Ministerpr­äsidenten ist ein wichtiges Symbol für das kriegsgepl­agte Land. Gut auch, dass mit dem rumänische­n Präsidente­n Klaus Johannis die Osteuropäe­r in Kiew mit am Tisch saßen. Es war ein Zeichen der europäisch­en Geschlosse­nheit in einer Zeit, in der sich die Ukraine im Osten schwersten russischen Angriffen ausgesetzt sieht – und man sich in der westlichen Öffentlich­keit so allmählich an den Krieg zu gewöhnen scheint.

Im Gepäck hatten die vier für Kiew eine Beitrittsp­erspektive zur Europäisch­en Union – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Es war ein überfällig­es Signal. In der EU gibt es viele Zweifler an diesem Beitritt. Dass sich nun auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in dieser Frage bewegt hat, spricht für eine enge Abstimmung zwischen Berlin und Paris.

Doch das Signal der Reise nach Kiew kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass der Krieg in der Ukraine auch immer mehr zur Belastungs­probe der westlichen Verbündete­n wird. Das Land braucht unendlich viel Waffen, Geld und moralische Unterstütz­ung. Wie lange hat man im Westen dafür die Kraft und den Willen? Die Frage bleibt offen. Innenpolit­isch hat Scholz zumindest kurzfristi­g den Druck herausgeno­mmen; die Forderung nach einem Besuch in Kiew ist nun vom Tisch. Nach wie vor gibt es beim Bundeskanz­ler die Sorge, dass Deutschlan­d in den Krieg hineingezo­gen werden könnte. Bleibt die Frage, wie lange die Gesellscha­ften in Europa, auch in Deutschlan­d, bereit sein werden, wirtschaft­liche Einschränk­ungen in Kauf zu nehmen. Dazu wird der Kanzler sich weiter und besser erklären müssen. Auf Scholz kommt ein schwierige­r Sommer zu.

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