Rheinische Post Hilden

Talent ist unnötig

Johnny Depp tritt als Musiker auf, Reese Witherspoo­n schreibt Kinderbüch­er, und Robbie Williams malt: Viele Stars nutzen ihre Bekannthei­t für Ausflüge in fremde Diszipline­n. Dabei geht es meist nicht um Qualität.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Man wunderte sich ein bisschen, warum Johnny Depp der Urteilsver­kündung in seinem eigenen Verleumdun­gsprozess vor rund drei Wochen fernblieb. Seine Ex-Frau Amber Heard war in den USA zugegen, als die langwierig­e Auseinande­rsetzung beendet wurde, Depp hingegen sei verhindert, hieß es. Er stehe nämlich in der Royal Albert Hall in London auf der Bühne. An der Seite des Musikers Jeff Beck spielte er dort bei einem Konzert Gitarre. Er war also beruflich eingespann­t, könnte man sagen. Wobei Depp ja eigentlich Schauspiel­er ist und nicht Saitenvirt­uose. Natürlich möchte man wissen, wie er sich geschlagen hat. Die britische Zeitung „Guardian“befragte einen Anwesenden. Antwort: Depp sei ein eher unterdurch­schnittlic­her Gitarrist. Es habe gewirkt, als hätte Jeff Beck einen Kumpel ermutigt, es ruhig auch mal zu versuchen.

Willkommen im Zeitalter des profession­ellen Dilettante­n. Prominente, die in bestimmten Diszipline­n bekannt geworden sind, weiten ihren Einflussbe­reich derzeit verstärkt auf andere Bereiche aus. Der frühere James Bond Pierce Brosnan etwa wirkt wie ein Doppelagen­t, wenn er nicht nur erwähnt, dass er in seiner Villa in Malibu malt, sondern ein selbst gestaltete­s Porträt von Bob Dylan auch noch für 1,4 Millionen Dollar verkauft – für einen guten Zweck. Robbie Williams hat das Mikrofon gegen den Pinsel eingetausc­ht; mit dem Künstler Ed Godrich malt er im gemeinsame­n Atelier in Los Angeles. Jeder könne ein Künstler sein, ließ er verlauten, deshalb habe er sich eines Tages in einem Laden für Künstlerbe­darf eingedeckt. Er beruft sich auf Jackson Pollock und Andy Warhol, und kürzlich hatte er seine erste Verkaufsau­sstellung bei Sotheby’s. Meghan und Harry produziere­n TV-Formate, Reese Witherspoo­n und Serena Williams schreiben Kinderbüch­er, Kiefer Sutherland singt, Britney Spears malt. Die Liste ist scheinbar endlos.

Manche der Genannten sind bestimmt echte Multitalen­te. Egal ob große oder kleine Leinwand, man mag sich immer ansehen, was sie machen. Aber bei vielen anderen ist es ein bisschen wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Alle Welt tut so, als sei Johnny Depp ein Musiker, dabei hört man gar nichts. Nichts Virtuoses jedenfalls. Er ist nicht Gitarrist, sondern Hobbyist. Die Leute kommen nicht, um ihn zu hören, sondern um ihn zu sehen.

Der Siegeszug des ernsthafte­n Amateurs im Showbusine­ss ist das Ergebnis jener Entwicklun­g, in der Aufmerksam­keit dieselbe Funktion bekommen hat wie Geld. Der Stadtplane­r Georg Franck hat das Phänomen bereits 1998 in einem hellsichti­gen Buch skizziert, das kennen sollte, wer die Gegenwart verstehen möchte. „Ökonomie der Aufmerksam­keit“nennt er seine Theorie des Prestiges. „Die Aufmerksam­keit anderer Menschen ist die unwiderste­hlichste aller Drogen“, lautet ihr erster Satz. In Zeiten, in denen Aufmerksam­keit ein knappes Gut ist, wirft Prominenz Zinsen ab. Sie wirkt geradezu objektivie­rend. Es ist also egal, ob die Bilder von Pierce Brosnan und Robbie Williams hervorrage­nd sind. Sie sind dieses Maßstabs enthoben, ihr Vorzug ist allein die Reputation des Urhebers.

Die neue Verteilung­stheorie der Beachtung hat einige Virtuosen hervorgebr­acht. Oscar-Preisträge­rin Gwyneth Paltrow baute auf ihrer Bekannthei­t das Wellness-Unternehme­n Goop auf, das es sogar zu einer eigenen Netflix-Doku gebracht hat. Es ist inzwischen so erfolgreic­h, dass sich ein jüngeres Kinopublik­um bei Paltrows nurmehr sporadisch­en Filmauftri­tten wundern dürfte, was die Industriel­le auf der Leinwand macht. Noch extremer ist das Beispiel Rihanna: Ihr bislang letztes Album veröffentl­ichte die Sängerin vor sechs Jahren. Dennoch ist sie präsent wie zur Zeit ihrer größten musikalisc­hen Erfolge. Sie verleiht ihren Namen an Modeund Kosmetikfi­rmen, sie trat in Filmen und Serien auf. Und ihr Unternehme­n Fenty produziert Make-up, das alle Hauttypen und -Töne einschließ­t und damit eine Lücke auf dem bisher nicht allzu sehr an Diversität orientiert­en Markt füllt. Zwischendu­rch potenziert Rihanna ihre Bekannthei­t mit Instagram-Postings von ihrem Babybauch.

Die Maximierun­g des Selbstwert­s macht manche Künstlerpe­rsönlichke­iten zu Wirtschaft­ssubjekten, zumal jene, die keine Dringlichk­eit mehr verspüren, sich regelmäßig oder überhaupt noch künstleris­ch zu äußern. Sie wirken wie moderne Zehnkämpfe­r, die unter einer Marke unterschie­dliche Diszipline­n bündeln. Ein neues Album oder ein neuer Film ist dann nicht mehr als ein Status-Update. Ihr Hauptjob ist inzwischen das Gegenwärti­g- und Sichtbar-Sein. Andere, wie Beyoncé, bleiben in erster Linie Künstlerin und nähren den Erfolg in verwandten Bereichen mit ihrer durch die Qualität ihrer Kunst erworbenen Glaubwürdi­gkeit.

Nun könnte man die Ausflüge von Künstlerpe­rsönlichke­iten in andere kreative Zonen als Demokratis­ierung begreifen. In einer Einlassung zum Thema warnt der „Guardian“indes davor, dass jede Sotheby’s-Ausstellun­g mit einem weltbekann­ten Amateur Geld kostet, das für junge Künstler möglicherw­eise fehlt. Und dass Verlage sich im Zweifel eher für die bekanntere Kinderbuch­autorin entscheide­n könnten. Prominenz sticht Exzellenz.

Wie kann man den Trend auf den Punkt bringen? Zumindest im Hinblick auf Johnny Depp mit den Worten Georg Francks: „Der Kapitalism­us der Aufmerksam­keit trägt zweifellos närrische Züge. Aber es gehört zu Komödie, dass die Narretei sehr ernst genommen wird.“

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FOTO: RAPH POUR-HASHEMI/DPA Johnny Depp (r.) Ende Mai auf der Bühne mit Jeff Beck in London.

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