Talent ist unnötig
Johnny Depp tritt als Musiker auf, Reese Witherspoon schreibt Kinderbücher, und Robbie Williams malt: Viele Stars nutzen ihre Bekanntheit für Ausflüge in fremde Disziplinen. Dabei geht es meist nicht um Qualität.
Man wunderte sich ein bisschen, warum Johnny Depp der Urteilsverkündung in seinem eigenen Verleumdungsprozess vor rund drei Wochen fernblieb. Seine Ex-Frau Amber Heard war in den USA zugegen, als die langwierige Auseinandersetzung beendet wurde, Depp hingegen sei verhindert, hieß es. Er stehe nämlich in der Royal Albert Hall in London auf der Bühne. An der Seite des Musikers Jeff Beck spielte er dort bei einem Konzert Gitarre. Er war also beruflich eingespannt, könnte man sagen. Wobei Depp ja eigentlich Schauspieler ist und nicht Saitenvirtuose. Natürlich möchte man wissen, wie er sich geschlagen hat. Die britische Zeitung „Guardian“befragte einen Anwesenden. Antwort: Depp sei ein eher unterdurchschnittlicher Gitarrist. Es habe gewirkt, als hätte Jeff Beck einen Kumpel ermutigt, es ruhig auch mal zu versuchen.
Willkommen im Zeitalter des professionellen Dilettanten. Prominente, die in bestimmten Disziplinen bekannt geworden sind, weiten ihren Einflussbereich derzeit verstärkt auf andere Bereiche aus. Der frühere James Bond Pierce Brosnan etwa wirkt wie ein Doppelagent, wenn er nicht nur erwähnt, dass er in seiner Villa in Malibu malt, sondern ein selbst gestaltetes Porträt von Bob Dylan auch noch für 1,4 Millionen Dollar verkauft – für einen guten Zweck. Robbie Williams hat das Mikrofon gegen den Pinsel eingetauscht; mit dem Künstler Ed Godrich malt er im gemeinsamen Atelier in Los Angeles. Jeder könne ein Künstler sein, ließ er verlauten, deshalb habe er sich eines Tages in einem Laden für Künstlerbedarf eingedeckt. Er beruft sich auf Jackson Pollock und Andy Warhol, und kürzlich hatte er seine erste Verkaufsausstellung bei Sotheby’s. Meghan und Harry produzieren TV-Formate, Reese Witherspoon und Serena Williams schreiben Kinderbücher, Kiefer Sutherland singt, Britney Spears malt. Die Liste ist scheinbar endlos.
Manche der Genannten sind bestimmt echte Multitalente. Egal ob große oder kleine Leinwand, man mag sich immer ansehen, was sie machen. Aber bei vielen anderen ist es ein bisschen wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: Alle Welt tut so, als sei Johnny Depp ein Musiker, dabei hört man gar nichts. Nichts Virtuoses jedenfalls. Er ist nicht Gitarrist, sondern Hobbyist. Die Leute kommen nicht, um ihn zu hören, sondern um ihn zu sehen.
Der Siegeszug des ernsthaften Amateurs im Showbusiness ist das Ergebnis jener Entwicklung, in der Aufmerksamkeit dieselbe Funktion bekommen hat wie Geld. Der Stadtplaner Georg Franck hat das Phänomen bereits 1998 in einem hellsichtigen Buch skizziert, das kennen sollte, wer die Gegenwart verstehen möchte. „Ökonomie der Aufmerksamkeit“nennt er seine Theorie des Prestiges. „Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen“, lautet ihr erster Satz. In Zeiten, in denen Aufmerksamkeit ein knappes Gut ist, wirft Prominenz Zinsen ab. Sie wirkt geradezu objektivierend. Es ist also egal, ob die Bilder von Pierce Brosnan und Robbie Williams hervorragend sind. Sie sind dieses Maßstabs enthoben, ihr Vorzug ist allein die Reputation des Urhebers.
Die neue Verteilungstheorie der Beachtung hat einige Virtuosen hervorgebracht. Oscar-Preisträgerin Gwyneth Paltrow baute auf ihrer Bekanntheit das Wellness-Unternehmen Goop auf, das es sogar zu einer eigenen Netflix-Doku gebracht hat. Es ist inzwischen so erfolgreich, dass sich ein jüngeres Kinopublikum bei Paltrows nurmehr sporadischen Filmauftritten wundern dürfte, was die Industrielle auf der Leinwand macht. Noch extremer ist das Beispiel Rihanna: Ihr bislang letztes Album veröffentlichte die Sängerin vor sechs Jahren. Dennoch ist sie präsent wie zur Zeit ihrer größten musikalischen Erfolge. Sie verleiht ihren Namen an Modeund Kosmetikfirmen, sie trat in Filmen und Serien auf. Und ihr Unternehmen Fenty produziert Make-up, das alle Hauttypen und -Töne einschließt und damit eine Lücke auf dem bisher nicht allzu sehr an Diversität orientierten Markt füllt. Zwischendurch potenziert Rihanna ihre Bekanntheit mit Instagram-Postings von ihrem Babybauch.
Die Maximierung des Selbstwerts macht manche Künstlerpersönlichkeiten zu Wirtschaftssubjekten, zumal jene, die keine Dringlichkeit mehr verspüren, sich regelmäßig oder überhaupt noch künstlerisch zu äußern. Sie wirken wie moderne Zehnkämpfer, die unter einer Marke unterschiedliche Disziplinen bündeln. Ein neues Album oder ein neuer Film ist dann nicht mehr als ein Status-Update. Ihr Hauptjob ist inzwischen das Gegenwärtig- und Sichtbar-Sein. Andere, wie Beyoncé, bleiben in erster Linie Künstlerin und nähren den Erfolg in verwandten Bereichen mit ihrer durch die Qualität ihrer Kunst erworbenen Glaubwürdigkeit.
Nun könnte man die Ausflüge von Künstlerpersönlichkeiten in andere kreative Zonen als Demokratisierung begreifen. In einer Einlassung zum Thema warnt der „Guardian“indes davor, dass jede Sotheby’s-Ausstellung mit einem weltbekannten Amateur Geld kostet, das für junge Künstler möglicherweise fehlt. Und dass Verlage sich im Zweifel eher für die bekanntere Kinderbuchautorin entscheiden könnten. Prominenz sticht Exzellenz.
Wie kann man den Trend auf den Punkt bringen? Zumindest im Hinblick auf Johnny Depp mit den Worten Georg Francks: „Der Kapitalismus der Aufmerksamkeit trägt zweifellos närrische Züge. Aber es gehört zu Komödie, dass die Narretei sehr ernst genommen wird.“