Auf der Spur der Infektionswege
Mittlerweile wurden 24.000 Corona-Proben sequenziert. Die Methode lässt erkennen, wo sich Menschen infizieren.
FORSCHUNG IN DÜSSELDORF
DÜSSELDORF Sie war gerade aus einem Spanienurlaub zurückgekehrt und ging, vielleicht noch in Feierlaune, abends in verschiedene Bars in der Altstadt. Was die junge Frau nicht ahnte, denn Anfang Juli 2021 galt Spanien noch nicht als Risikogebiet und deshalb waren keine PCR-Tests vorgeschrieben: Sie war mit Corona infiziert. Das Ergebnis: 28 Menschen infizierten sich, und steckten danach mutmaßlich noch 36 Familienmitglieder an. Woher man das so genau weiß? In Laboren der Uni wird ein Großteil aller positiven Corona-Proben aus Düsseldorf sequenziert. Diese Analyse des Erbguts der Viren kann gemeinsam mit der Kontakt-Verfolgung des Gesundheitsamtes exakte Daten darüber liefern, wo sich Menschen infizieren – ein Pilotprojekt.
Im Februar 2021 hatten das Düsseldorfer Gesundheitsamt und die Uni eine in Deutschland einmalige Kooperation in der Bekämpfung der Pandemie beschlossen. Seitdem wurden in den Laboren bis heute 24.000 Corona-Proben sequenziert. „Genetisch ähnliche oder gar identische Proben liefern genaue Hinweise darauf, dass sich Menschen an einem Ort infiziert haben“, erläutert Alexander Dilthey, Professor für Genomische Mikrobiologie und Immunität, der das Forschungsprojekt gemeinsam mit Virologen der Uni stemmt. Durch die Analysen lassen sich auch Varianten des Coronavirus erkennen. Aber vor allem helfen die Daten der Wissenschaftler dem Gesundheitsamt, Infektionsketten aufzuspüren.
Wie bei der Rückkehrerin aus Spanien. In ihrem Fall legt die Analyse der positiven Testergebnisse nahe, dass sich wohl alle 64 Betroffenen direkt oder indirekt angesteckt hatten. Schwieriger war der Nachweis einer anderen Gruppe von 42 Infizierten zum selben Zeitpunkt, bei denen genetische Ähnlichkeiten des Virus gefunden wurden. „Sieben Menschen waren zuvor in Katalonien unterwegs und haben sich wohl dort angesteckt“, so Dilthey. Aber danach hatten sie ganz unterschiedliche Kontakte, für die Wissenschaftler ergab sich eher ein diffuses Bild der Ansteckungswege. Allerdings zeigte eine Zusammenarbeit mit spanischen Wissenschaftlern, dass dort eine genetische Verwandte des Virus zirkulierte - „ein
Beispiel für effektive europäische Zusammenarbeit“.
Das Fazit von Alexander Dilthey ist eindeutig: „Hätte es im Juli 2021 konsequent Sequenzierung gegeben, hätten wir gewusst, wie wichtig Tests sind. Viele dieser Ansteckungen wären verhindert worden.“Aber in Deutschland – im Gegensatz zu Großbritannien – habe man die genetische Analyse von Coronaviren lange unterschätzt. „Ein Versäumnis“, so Dilthey, denn diese beiden Gruppen mit insgesamt 106 Menschen waren immerhin 12 Prozent aller Infizierten in jenem Monat – und nicht etwa Einzelfälle.
Die Software, die die Wissenschaftler für die automatische Analyse
ihrer Daten entwickelt haben, hat Zukunftspotenzial – jenseits von Corona. Auch andere Infektionsketten, beispielsweise von multiresistenten Krankenhauskeimen, ließen sich dadurch nachweisen. So könne man sehen, wo genau im Krankenhaus oder beim Transport von einer Klinik zu einer anderen Ansteckung besonders häufig sei. Dadurch ließen sich Patienten besser schützen.
Mittlerweile nutzt Alexander Dilthey seine wissenschaftliche Expertise auch auf anderem Gebiet: In Oxford gründete er mit Partnern ein Unternehmen, das eine Methode entwickelt hat, einen Ausschnitt des menschlichen Genoms kostengünstig zu analysieren – und zwar speziell den Teil, der das Immunsystem bildet. 500 000 Freiwillige in Großbritannien haben an dem Projekt bisher teilgenommen, ließen ihre Gene sequenzieren und weitere umfangreiche Gesundheitsdaten speichern. „Dadurch wissen wir genauer, welche Faktoren beim Entstehen von Krankheiten eine Rolle spielen“, so Dilthey. Die Lizenz für das Verfahren haben die Gründer mittlerweile an ein Biotec-Unternehmen verkauft.
Die Erkenntnis, wie „extrem wertvoll“Daten sein können, in wissenschaftlichem wie im wirtschaftlichen Kontext, wird der Düsseldorfer Forscher jetzt zur Startup-Woche mitnehmen. Dort will er am kommenden
Mittwoch Gründern vermitteln, „dass gute Datenprojekte häufig mit einer Vision starten“. Und er wird wohl nebenbei auch von dem von ihm mitgegründeten Unternehmen berichten, das Firmen eine Software bietet, mit der Daten analysiert werden können. Konkretes Beispiel: Ein Hersteller, der sein Produkt über Google anbieten will, muss entscheiden, wie viel er bereit ist zu zahlen, um möglichst weit oben in der Suchmaschine aufzutauchen. Heißt: Er muss wissen, wie viel der Klick eines potenziellen Kunden wert ist und danach ein Gebot abgeben. Erkenntnisse, die für viele Gründer interessant sein dürften.