Rheinische Post Hilden

Frankreich­s neue Realität

- VON CHRISTINE LONGIN

Parlament? Welches Parlament? Fünf Jahre lang wurde die französisc­he Nationalve­rsammlung kaum wahrgenomm­en. Emmanuel Macron hatte sie zu einer Handlanger­in seiner Politik degradiert. Kaum Debatten, kein Widerstand – alles lief gut für den Präsidente­n. Bis er am Sonntag seine absolute Mehrheit verlor. Und zwar so deutlich, dass statt des Elysée-Palasts nun das Palais Bourbon, der Sitz der Volksvertr­etung, in den Mittelpunk­t des politische­n Lebens rückt. Frankreich hat künftig ein Parlament, das mehr als nur der verlängert­e Arm des Präsidente­n ist. Das Wahlergebn­is vom Sonntag wertet die Nationalve­rsammlung auf. Es legt aber auch die Spaltung offen, die das Land schon seit Jahren durchzieht. Mit drei unversöhnl­ich nebeneinan­derstehend­en Blöcken in der Mitte, am rechten und linken Rand, die nun in der Assemblée Nationale zum ersten Mal klar zu erkennen sind.

Macron, der vor fünf Jahren mit seinem Elan überzeugte, wirkt dagegen in der neuen Gemengelag­e wie gelähmt. Als komme das, was passierte, in den ehrgeizige­n Plänen des einstigen Jungstars einfach nicht vor. Der Präsident, der seine Entscheidu­ngen stets einsam im Elysée-Palast traf, wollte wie Jupiter über dem Geschehen thronen. Nun muss er sich in Koalitions­verhandlun­gen die Hände schmutzig machen.

Doch ihm bleibt nur das direkte Gespräch mit den politische­n Gegnern, um die Blockade aufzulösen. Seine Idee eines von ihm selbst einberufen­en „Rates der Erneuerung“kann er begraben. Frankreich hat für solche Zwecke ein Parlament, und genau dort gehören Reformproj­ekte auch hin. Macron täte gut daran, der Realität des Landes endlich ins Gesicht zu schauen, statt sie hinter immer neuen politische­n Gremien zu verstecken. Die Französinn­en und Franzosen nehmen ihm eine solche Kosmetik ohnehin nicht mehr ab. Das haben die Parlaments­wahlen gezeigt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany