Frankreichs neue Realität
Parlament? Welches Parlament? Fünf Jahre lang wurde die französische Nationalversammlung kaum wahrgenommen. Emmanuel Macron hatte sie zu einer Handlangerin seiner Politik degradiert. Kaum Debatten, kein Widerstand – alles lief gut für den Präsidenten. Bis er am Sonntag seine absolute Mehrheit verlor. Und zwar so deutlich, dass statt des Elysée-Palasts nun das Palais Bourbon, der Sitz der Volksvertretung, in den Mittelpunkt des politischen Lebens rückt. Frankreich hat künftig ein Parlament, das mehr als nur der verlängerte Arm des Präsidenten ist. Das Wahlergebnis vom Sonntag wertet die Nationalversammlung auf. Es legt aber auch die Spaltung offen, die das Land schon seit Jahren durchzieht. Mit drei unversöhnlich nebeneinanderstehenden Blöcken in der Mitte, am rechten und linken Rand, die nun in der Assemblée Nationale zum ersten Mal klar zu erkennen sind.
Macron, der vor fünf Jahren mit seinem Elan überzeugte, wirkt dagegen in der neuen Gemengelage wie gelähmt. Als komme das, was passierte, in den ehrgeizigen Plänen des einstigen Jungstars einfach nicht vor. Der Präsident, der seine Entscheidungen stets einsam im Elysée-Palast traf, wollte wie Jupiter über dem Geschehen thronen. Nun muss er sich in Koalitionsverhandlungen die Hände schmutzig machen.
Doch ihm bleibt nur das direkte Gespräch mit den politischen Gegnern, um die Blockade aufzulösen. Seine Idee eines von ihm selbst einberufenen „Rates der Erneuerung“kann er begraben. Frankreich hat für solche Zwecke ein Parlament, und genau dort gehören Reformprojekte auch hin. Macron täte gut daran, der Realität des Landes endlich ins Gesicht zu schauen, statt sie hinter immer neuen politischen Gremien zu verstecken. Die Französinnen und Franzosen nehmen ihm eine solche Kosmetik ohnehin nicht mehr ab. Das haben die Parlamentswahlen gezeigt.