Kulturkampf in Lettland
Mehr als ein Viertel der Bevölkerung des EU-Staats hat Russisch als Muttersprache. Nur wenige bekennen sich zu Putin. Für die Minderheit wird es dennoch schwierig: Ihre Sprache soll aus Schulen und Kindergärten verschwinden.
RIGA/WARSCHAU „Lettland ist ein Ort, wo die Menschen ihre Meinung ausdrücken können, aber an diesem Ort gibt es auch Grenzen“, sagte Egils Levits, Lettlands Staatspräsident. Der ehemalige Richter des Europäischen Gerichtshofs spielte damit am Wochenende auf ein mögliches Verbot der Kleinpartei „Lettisch-Russische Union“(LKS) an. Die Initiative „Meine Stimme“hatte in der vergangenen Woche die notwendigen 10.000 Unterschriften gesammelt, sodass die Abschaffung der russlandnahen Partei im Parlament diskutiert werden muss. „LKS ist kein Teil der Demokratie, sondern eine Waffe der Feinde der Demokratie“, lautet die Argumentation der 2011 gegründeten Nichtregierungsorganisation, die nach amerikanischem Vorbild mehr Mitbestimmung umsetzen will.
In Lettland, das vor seiner Unabhängigkeit 1991 Republik der Sowjetunion war, leben etwa 25 bis 30 Prozent russische Muttersprachler. Diese Minderheit gerät angesichts des Kriegs in der Ukraine zunehmend unter Druck – und dieser Druck manifestierte sich in der vergangenen Woche in einigen Beschlüssen und Gesetzentwürfen.
So soll das Russische aus der Öffentlichkeit zurückgedrängt werden – am vergangenen Donnerstag wurde im lettischen Parlament, wo Mitte-rechts-Parteien in der Mehrheit sind, ein Gesetzentwurf verabschiedet, der das Russische schrittweise, nämlich innerhalb von drei Jahren, aus Schulen und Kindergärten verbannen soll.
Und gerade die LKS, die seit 2010 nicht mehr in der nationalen Kammer, jedoch im Europaparlament vertreten ist, hält aktiv mit Protesten
gegen dieses Vorhaben dagegen. Bislang scheint die Haltung der Russischsprachigen zu Putins Invasionspolitik nicht wirklich messbar – nur 13 Prozent unterstützten sie nach einer Umfrage im Mai offen, allerdings entzogen sich 57 Prozent der Befragten einer Positionierung. Viele von ihnen werden jedoch mit einigen zu erwartenden Maßnahmen kaum konform gehen.
Abgebaut werden dieses Jahr auch sowjetische Denkmäler. Dank des kürzlich verabschiedeten Gesetzes, das die „Verherrlichung des Sowjet- und Naziregimes“verbietet, soll bis Ende Juli eine Liste von entsprechenden Monumenten gesammelt werden, die dann im November
geschleift werden sollen – mithilfe von Spendengeldern. Für das prominenteste „Opfer“der rund 300 Objekte, das markante sowjetische Siegesdenkmal in Riga, wurden bereits über 200.000 Euro gesammelt. Hinzu kommt, dass sich russische und belarussische Staatsbürger nicht mehr an lettischen Kapitalgesellschaften beteiligen dürfen, wenn diese von staatlicher Seite als sicherheitsrelevant eingestuft werden.
Zu einer Verschlechterung der Stimmung in Lettland führte jüngst zudem ein Jubiläum: der 350. Todestag des russischen Zaren Peter des Großen Anfang Juni. Ein Anlass für Kremlchef Putin, vom Zurückholen ehemaliger Gebiete zu sprechen – wozu für ihn auch das baltische Lettland gehören dürfte.
Den Bewohnern der Großstadt Daugavpils, die sich nach der „russischen Welt“sehnten, empfahl eine Zeitung, sich doch einmal das zerbombte Mariupol anzuschauen. In der ostlettischen Stadt dominieren die Russischsprachigen – so will das Rathaus das Schleifen der Denkmäler anfechten lassen. Auch beschweren sich Russischstämmige, die offen den Krieg gegen die Ukraine verurteilen, dass sie so unter Verdacht ständen. „Manche Letten sind ebenfalls Putinisten, da sie ein autoritäres System bevorzugen“, sagt etwa der Daugavpilser Theatermacher Dmitri Petrenko.