Von einer Schlange zur nächsten
Ein Mitarbeiter vom Check-in am Düsseldorfer Airport berichtet exklusiv von Gewaltausbrüchen frustrierter Passagiere. Er erklärt, warum Flüge gestrichen werden und warum es die Lage verschärft, wenn Passagiere viel zu früh da sind.
DÜSSELDORF „Es wird auf jeden Fall so sein, dass wieder Flüge gecancelt werden. Es wird zu tumultartigen Szenen kommen. Es wird schon allein wegen Überfüllung kaum ein Durchkommen geben. Es werden unendlich viele Familien mit Kindern da sein, die nach zwei Jahren Pandemie wieder einen großen Urlaub machen. Und wir werden deshalb viele weinende und schreienden Kinder sehen und hören.“
Das sagt ein erfahrener Mitarbeiter am Check-in-Schalter des Düsseldorfer Flughafens mit Blick auf den bevorstehenden letzten Schultag am Freitag und den Ferienbeginn. Weil er sonst seinen Arbeitsplatz verlieren würde, nennen wir ihn im folgenden Bericht Andre. Konkret arbeitet Andre für einen privaten Dienstleister, der im Auftrag verschiedener Fluggesellschaften (unter anderem für Eurowings) die Check-in-Schalter am Düsseldorfer Flughafen besetzt. Andre arbeitet in der Passagierabfertigung am Schalter. Dort überprüft er die Personalien der Urlauber, nimmt ihr Gepäck entgegen und gibt die Bordkarte heraus. Zudem ist er noch am Gate tätig, wo er für das Boarding zuständig ist.
Neben den Luftsicherheitskontrollen bilden sich momentan gerade am Check-in regelmäßig lange Warteschlangen – und die Lage scheint sich dort von Tag zu Tag zuzuspitzen. Zuletzt ging die Warteschlange sogar bis aus dem AirportGebäude heraus. Zudem streichen Airlines kurzfristig Flüge; zum Teil erfahren Passagiere erst in der Warteschlange am Flughafen, dass ihr Flug nicht stattfinden wird.
Andre kennt den Grund dafür: „Das kann einerseits damit zusammenhängen, dass Flugzeuge wegen vorheriger Verspätungen erst gar nicht mehr nach Düsseldorf fliegen, weil sich das nicht mehr rentiert. Man lässt dann also eine Station ausfallen, um die darauffolgende zu retten“, sagt er. „Oder das Bordpersonal im Flugzeug fällt kurzfristig wegen Krankheit aus. Das passiert sehr oft.“Zwar hielten die Airlines für solche Notfälle sogenannte Stand-by-Flugbegleiter vor; das seien Kräfte, die in Bereitschaft zu Hause warteten, aber innerhalb einer vorgegebenen Zeit am Flughafen sein müssten. „Wenn es aber doppelt und dreifach zu Ausfällen kommt, gibt es keine Reserve mehr. Und das sehen wir jetzt“, sagt Andre. Er kann zwar nicht genau sagen, welche Flüge kurzfristig von Streichungen bedroht sind. „Aber ich kann sagen, dass es häufig Maschinen sind, die öfters das entsprechende Ziel anfliegen. Die Leute müssen ja umgebucht werden. Wirtschaftlich macht es keinen Sinn, Flüge zu streichen, die nur dreimal die Woche in eine Stadt rausgehen.“
Andre und seine Kollegen stehen seit Tagen im Epizentrum der Kritik; sie sind es, die neben den Luftsicherheitskontrolleuren die Wut der Passagiere zu spüren bekommen – ohne etwas für die Misere zu können. Sie werden beleidigt, bespuckt, bedroht und zum Teil sogar geschlagen. „Ein Kollege, der neben mir am Schalter gesessen hat, hat erst vor wenigen Tagen eine Faust voll ins Gesicht bekommen“, sagt Andre.
Für das anstehende erste Ferienwochenende befürchtet Andre das Schlimmste: überfüllte Terminals, lange Warteschlangen und frustrierte Fluggäste. Er rät allen Passagieren, die am ersten Ferienwochenende ab Düsseldorf fliegen wollen, erst einmal auf die Internetseite der Airline zu gucken, ob der Flug überhaupt noch stattfindet. „Dann sollte man unbedingt alle benötigen Dokumente – auch fürs Ausland – bereithalten. Denn das hält leider sehr oft am Check-in auf“, sagt er. Und ansonsten könne er nur allen Glück wünschen. „Es ist leider wirklich wie im Casino. Es kann sein, dass man alles richtig gemacht hat, aber trotzdem nicht fliegen kann“, sagt Andre.
Für Flughafenexperte und Verdi-Sekretär Özay Tarim ist das eine Bankrotterklärung: „Es ist heftig, wenn man von Glück und Pech reden muss. So kann man keinen Airport organisieren. Das zeigt das ganze Missmanagement vieler Akteure am Flughafen.“Seit Wochen kommt es am Düsseldorfer Flughafen nun schon zu langen Warteschlangen vor den Luftsicherheitskontrollen. Der Flughafen und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sehen den Grund dafür in der Personalmisere beim zuständigen Sicherheitsunternehmen. Bis zu 100 Kontrollkräfte pro Schicht würden teilweise fehlen, kritisieren sie. „Die Problematik am Check-in kommt jetzt noch obendrauf“, sagt Tarim.
Viele Passagiere ärgern sich, wenn sie trotz langer Warteschlangen sehen, dass nicht alle Check-in-Schalter geöffnet sind. „Verständlicher Ärger. Aber das liegt daran, dass alle Mitarbeiter vor Dienstbeginn einen Tagesplan bekommen. Und dort steht aufgereiht, wann man an welchem Schalter zu sitzen und welchen Flug man zu bearbeiten hat. Wenn sich jetzt ein Flugzeug aus Spanien verspätet, verschiebt das unseren gesamten Zeitplan“, sagt Andre. „Das heißt, dass ich dann zu spät zu meinem nächsten Schalter komme und dieser dann so lange unbesetzt ist. Wenn man Reservekräfte hätte, könnte man das abfangen. Hat man aber nicht. Allein über Reservekräfte zu reden, ist eine Utopie bei uns“, sagt Andre.
Er kritisiert, dass Passagiere häufig viel zu früh am Flughafen seien – zum Teil fünf bis sechs Stunden vor Abflug. Gleichzeitig gebe es „Blockschalter“von Airlines, an denen sich alle anstellen könnten – egal wohin der Flug geht. „Das führt dazu, dass Passagiere, deren Flug in einer halben Stunde etwa nach Spanien geht, hinter Passagieren stehen, deren Flüge erst in einigen Stunden etwa nach Portugal gehen“, sagt er. Deshalb gehe es an den Schaltern häufig zu „wie auf dem Hamburger Fischmarkt“. „Ich sitze dann da und sehe, dass für den Flug nach Spanien, der gleich rausgeht, noch Leute fehlen. Ich weiß, dass die da irgendwo in der Schlange stehen. Also gehe ich raus in die Schlange und rufe: Wo sind die 40 Leute für den Flug nach Palma? Und neben mir ruft ein Kollege: Die noch fehlenden 20 Passagiere, die nach Athen wollen, bitte die Hände hoch.“