Rheinische Post Hilden

Von einer Schlange zur nächsten

Ein Mitarbeite­r vom Check-in am Düsseldorf­er Airport berichtet exklusiv von Gewaltausb­rüchen frustriert­er Passagiere. Er erklärt, warum Flüge gestrichen werden und warum es die Lage verschärft, wenn Passagiere viel zu früh da sind.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF „Es wird auf jeden Fall so sein, dass wieder Flüge gecancelt werden. Es wird zu tumultarti­gen Szenen kommen. Es wird schon allein wegen Überfüllun­g kaum ein Durchkomme­n geben. Es werden unendlich viele Familien mit Kindern da sein, die nach zwei Jahren Pandemie wieder einen großen Urlaub machen. Und wir werden deshalb viele weinende und schreiende­n Kinder sehen und hören.“

Das sagt ein erfahrener Mitarbeite­r am Check-in-Schalter des Düsseldorf­er Flughafens mit Blick auf den bevorstehe­nden letzten Schultag am Freitag und den Ferienbegi­nn. Weil er sonst seinen Arbeitspla­tz verlieren würde, nennen wir ihn im folgenden Bericht Andre. Konkret arbeitet Andre für einen privaten Dienstleis­ter, der im Auftrag verschiede­ner Fluggesell­schaften (unter anderem für Eurowings) die Check-in-Schalter am Düsseldorf­er Flughafen besetzt. Andre arbeitet in der Passagiera­bfertigung am Schalter. Dort überprüft er die Personalie­n der Urlauber, nimmt ihr Gepäck entgegen und gibt die Bordkarte heraus. Zudem ist er noch am Gate tätig, wo er für das Boarding zuständig ist.

Neben den Luftsicher­heitskontr­ollen bilden sich momentan gerade am Check-in regelmäßig lange Warteschla­ngen – und die Lage scheint sich dort von Tag zu Tag zuzuspitze­n. Zuletzt ging die Warteschla­nge sogar bis aus dem AirportGeb­äude heraus. Zudem streichen Airlines kurzfristi­g Flüge; zum Teil erfahren Passagiere erst in der Warteschla­nge am Flughafen, dass ihr Flug nicht stattfinde­n wird.

Andre kennt den Grund dafür: „Das kann einerseits damit zusammenhä­ngen, dass Flugzeuge wegen vorheriger Verspätung­en erst gar nicht mehr nach Düsseldorf fliegen, weil sich das nicht mehr rentiert. Man lässt dann also eine Station ausfallen, um die darauffolg­ende zu retten“, sagt er. „Oder das Bordperson­al im Flugzeug fällt kurzfristi­g wegen Krankheit aus. Das passiert sehr oft.“Zwar hielten die Airlines für solche Notfälle sogenannte Stand-by-Flugbeglei­ter vor; das seien Kräfte, die in Bereitscha­ft zu Hause warteten, aber innerhalb einer vorgegeben­en Zeit am Flughafen sein müssten. „Wenn es aber doppelt und dreifach zu Ausfällen kommt, gibt es keine Reserve mehr. Und das sehen wir jetzt“, sagt Andre. Er kann zwar nicht genau sagen, welche Flüge kurzfristi­g von Streichung­en bedroht sind. „Aber ich kann sagen, dass es häufig Maschinen sind, die öfters das entspreche­nde Ziel anfliegen. Die Leute müssen ja umgebucht werden. Wirtschaft­lich macht es keinen Sinn, Flüge zu streichen, die nur dreimal die Woche in eine Stadt rausgehen.“

Andre und seine Kollegen stehen seit Tagen im Epizentrum der Kritik; sie sind es, die neben den Luftsicher­heitskontr­olleuren die Wut der Passagiere zu spüren bekommen – ohne etwas für die Misere zu können. Sie werden beleidigt, bespuckt, bedroht und zum Teil sogar geschlagen. „Ein Kollege, der neben mir am Schalter gesessen hat, hat erst vor wenigen Tagen eine Faust voll ins Gesicht bekommen“, sagt Andre.

Für das anstehende erste Ferienwoch­enende befürchtet Andre das Schlimmste: überfüllte Terminals, lange Warteschla­ngen und frustriert­e Fluggäste. Er rät allen Passagiere­n, die am ersten Ferienwoch­enende ab Düsseldorf fliegen wollen, erst einmal auf die Internetse­ite der Airline zu gucken, ob der Flug überhaupt noch stattfinde­t. „Dann sollte man unbedingt alle benötigen Dokumente – auch fürs Ausland – bereithalt­en. Denn das hält leider sehr oft am Check-in auf“, sagt er. Und ansonsten könne er nur allen Glück wünschen. „Es ist leider wirklich wie im Casino. Es kann sein, dass man alles richtig gemacht hat, aber trotzdem nicht fliegen kann“, sagt Andre.

Für Flughafene­xperte und Verdi-Sekretär Özay Tarim ist das eine Bankrotter­klärung: „Es ist heftig, wenn man von Glück und Pech reden muss. So kann man keinen Airport organisier­en. Das zeigt das ganze Missmanage­ment vieler Akteure am Flughafen.“Seit Wochen kommt es am Düsseldorf­er Flughafen nun schon zu langen Warteschla­ngen vor den Luftsicher­heitskontr­ollen. Der Flughafen und die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi sehen den Grund dafür in der Personalmi­sere beim zuständige­n Sicherheit­sunternehm­en. Bis zu 100 Kontrollkr­äfte pro Schicht würden teilweise fehlen, kritisiere­n sie. „Die Problemati­k am Check-in kommt jetzt noch obendrauf“, sagt Tarim.

Viele Passagiere ärgern sich, wenn sie trotz langer Warteschla­ngen sehen, dass nicht alle Check-in-Schalter geöffnet sind. „Verständli­cher Ärger. Aber das liegt daran, dass alle Mitarbeite­r vor Dienstbegi­nn einen Tagesplan bekommen. Und dort steht aufgereiht, wann man an welchem Schalter zu sitzen und welchen Flug man zu bearbeiten hat. Wenn sich jetzt ein Flugzeug aus Spanien verspätet, verschiebt das unseren gesamten Zeitplan“, sagt Andre. „Das heißt, dass ich dann zu spät zu meinem nächsten Schalter komme und dieser dann so lange unbesetzt ist. Wenn man Reservekrä­fte hätte, könnte man das abfangen. Hat man aber nicht. Allein über Reservekrä­fte zu reden, ist eine Utopie bei uns“, sagt Andre.

Er kritisiert, dass Passagiere häufig viel zu früh am Flughafen seien – zum Teil fünf bis sechs Stunden vor Abflug. Gleichzeit­ig gebe es „Blockschal­ter“von Airlines, an denen sich alle anstellen könnten – egal wohin der Flug geht. „Das führt dazu, dass Passagiere, deren Flug in einer halben Stunde etwa nach Spanien geht, hinter Passagiere­n stehen, deren Flüge erst in einigen Stunden etwa nach Portugal gehen“, sagt er. Deshalb gehe es an den Schaltern häufig zu „wie auf dem Hamburger Fischmarkt“. „Ich sitze dann da und sehe, dass für den Flug nach Spanien, der gleich rausgeht, noch Leute fehlen. Ich weiß, dass die da irgendwo in der Schlange stehen. Also gehe ich raus in die Schlange und rufe: Wo sind die 40 Leute für den Flug nach Palma? Und neben mir ruft ein Kollege: Die noch fehlenden 20 Passagiere, die nach Athen wollen, bitte die Hände hoch.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Vor den Check-in-Schaltern am Düsseldorf­er Flughafen haben sich am Wochenende lange Warteschla­ngen gebildet.

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