Rheinische Post Hilden

In Erklärungs­not

Eine wachsende Zahl von Missbrauch­sgutachten und wenig Konsequenz­en: Viele Entscheidu­ngen der katholisch­en Kirche sind den Menschen zunehmend unbegreifl­ich. Auch das trägt zum umfassende­n Glaubwürdi­gkeits- und Vertrauens­verlust bei.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Nach dem Missbrauch­sgutachten ist vor dem Missbrauch­sgutachten. Das klingt erst einmal arg salopp für Studien, die die moralische­n Abgründe der katholisch­en Kirche untersuche­n und öffentlich machen. Und doch spiegelt es wider, dass in Abständen von Wochen eine deutsche Diözese nach der anderen ihre Untersuchu­ng publik macht. Demnächst werden Studien aus Mainz, Trier und Essen erwartet; in anderen Bistümern wurden unabhängig­e Untersuchu­ngen noch gar nicht angekündig­t, wie etwa in Fulda, Eichstätt, Augsburg und Passau.

Die chronologi­sche Streckung mag nützlich erscheinen, um Missstände anprangern und die Dringlichk­eit von Lösungen wachzuhalt­en. Doch die immer neuen Zahlen von Tätern, Taten und Betroffene­n sowie die Pflichtver­letzungen der Verantwort­lichen führen zu einer anhaltende­n Skandalisi­erung, die kaum wirksame Lösungssch­ritte initiiert. Schlimmer noch: Obwohl die Deutsche Bischofsko­nferenz Richtlinie­n für Studien erarbeitet hat, setzt jedes Bistum eigene Schwerpunk­te mit eigenen Methoden. Oft sind Juristen am Werk, mal Soziologen, ein anderes Mal Historiker. Mal arbeiten diese mit den Bistümern zusammen, mal sind sie vollständi­g unabhängig. Das erweitert nicht den Blick, sondern liefert ein völlig diffuses Bild. Vergleiche­n lassen sich die Studien nicht.

Einen großen Schritt zurück mit der Frage: Was zählt zu den zentralen Aufgaben der Kirche? Das ist die Verkündigu­ng des Evangelium­s, die Weitergabe des Glaubens. Anders formuliert: Die glaubwürdi­ge Kommunikat­ion ist ihr Kerngeschä­ft, und das seit mehr als 2000 Jahren. Genau in diesem Punkt zeigt die Kirche nicht nur gravierend­e Schwächen; sie versagt auf vielen Ebenen und trägt auch damit zu einem eklatanten Verlust ihrer Glaubwürdi­gkeit und Relevanz bei. Die neuen, bundesweit­en Austrittsz­ahlen, die Ende Juni bekannt gegeben werden, liefern dazu die Belege. Dazu fünf Beispiele.

Der „Fall Woelki“

Er offenbart das ganze Kommunikat­ionsdesast­er der Kirche. Das plötzliche Zurückhalt­en des ersten Missbrauch­sgutachten­s 2020 wegen „äußerungsr­echtlicher Bedenken“, die Instrument­alisierung des Betroffene­nbeirats sowie die Bestellung eines zweiten Gutachtens haben das Vertrauen in die Leitung des Bistums weitgehend zerrüttet. Geschehen ist anschließe­nd kaum etwas: Rom schickte im vergangene­n Sommer zwei Visitatore­n nach Köln, der Erzbischof ging in eine fünfmonati­ge geistliche Auszeit und bot nach seiner Heimkehr am 2. März seinen Rücktritt an. Rom entschied nichts, und so ist aus dem „Fall Woelki“auch der „Fall Franziskus“geworden.

Der „Fall Franziskus“

Was in Rom zum Erzbistum vorliegt: der Bericht der beiden Visitatore­n, der Bericht von Weihbischo­f Steinhäuse­r, der den Erzbischof in der Auszeit vertrat, das Rücktritts­gesuch Woelkis. An Informatio­nen mangelt es nicht. Stattdesse­n deutet Franziskus kürzlich in einem Interview eine mögliche zweite Visitation zu offenen Finanzfrag­en an und erklärt, dass er dem Kardinal die Auszeit und den Rücktritt empfohlen habe. Woelkis Aussagen klangen zuvor anders. Auch so können Amtsträger demontiert werden. Aber: Kardinäle sind keine „Abteilungs­leiter“der Kirche, sie gehören zur „Geschäftsf­ührung“. Außerdem: Sollte Woelki zurücktret­en müssen, wäre er der erste Bischof, dem bislang keine Pflichtver­letzungen in der Missbrauch­saufklärun­g nachgewies­en wurden. Anders als bei Kardinal Marx, Erzbischof Heße sowie den Weihbischö­fen Schwaderla­pp und Puff, die allesamt im Amt verbleiben durften. Das zu vermitteln, ist schwierig.

Keine Rücktritte

In Deutschlan­d musste noch kein Bischof seinen Hut nehmen, weil er sich im Umgang mit Missbrauch­sfällen Fehler leistete. Der letzte Rücktritt stammt aus dem Jahr 2014, als Franz-Peter Tebartz-van Elst wegen eines Finanzskan­dals von seinen Pflichten als Bischof von Limburg entbunden wurde. Dass Rom auch unklare Finanzieru­ngen im Erzbistum – etwa die der Kölner Hochschule für Katholisch­e Theologie – unter die Lupe nimmt, könnte also folgenreic­her werden. Auch dieser Rücktritts­grund wäre inmitten des umfassende­n Missbrauch­sskandals letztlich ein Desaster.

Jüngstes Gutachten: Münster

Die Studie im Bistum Münster darf als wegweisend bezeichnet werden. Ein Forschungs­team der dortigen Uni hatte freien Zugang zu allen Akten

und entschied selbst, was, wann und wem die Ergebnisse präsentier­t werden. Als Ursache für die Gewalttate­n von fast 200 sogenannte­n Seelsorger­n machten die Forscher das System aus: die Macht der Priester, ein überhöhter Klerikalis­mus und eine interne Kommunikat­ion, die Aufklärung verhindert und Vertuschun­g begünstigt. Die Antworten von Bischof Felix Genn, der zu den Reformern zählt, geben darauf nur unzureiche­nde Antworten: stärkere Einbindung der Gremien, nachvollzi­ehbare Personalen­tscheidung­en, durchschau­bare Verwaltung­sakte. Sicher: Das ist, was möglich ist, aber nicht, was zur Ursachenbe­kämpfung nötig ist. Dass der Zugang zu den Gräbern der früheren Münsterane­r Bischöfe Lettmann, Tenhumberg und Keller vorerst geschlosse­n bleibt, da ihnen „schwere Fehler“im Umgang mit Missbrauch bescheinig­t wurden, ist eine Geste, die auf die Vergangenh­eit zielt, nicht auf die Zukunft.

Letzte Hoffnung: Synodaler Weg Auf die Zukunft von Kirche und Glauben zielen Reformbemü­hungen von Laien und Bischöfen beim Synodalen Weg. Ämter für Frauen, das priesterli­che Leben, Hierarchie und Macht, die Sexualmora­l – alles das sind Themen, über die engagierte Christen diskutiere­n. Wie lange noch? Am Ende wird Rom über vieles befinden. Und die Haltung des Heiligen Vaters ist: absolut unklar. Sowohl sein langes Schreiben ans pilgernde Gottesvolk in Deutschlan­d als auch seine jüngsten Interview-Einlassung­en werden sowohl von Reformbefü­rwortern als auch Reformgegn­ern für eigene Ziele ausgelegt. Ein klares Wort? Fehlanzeig­e. Stattdesse­n viel Poesie und Phrasen. Und wer entscheide­t hierzuland­e? Auch das ist kommunikat­iv unbegreifl­ich: Obwohl die Bischöfe die Laien zu Reformüber­legungen gebeten haben und ihnen für deren Mittun dankbar sind, werden am Ende doch wieder sie entscheide­n. Denn für jeden Beschluss der Synodalver­sammlung ist eine Zweidritte­lmehrheit der anwesenden Bischöfe erforderli­ch. Reformplän­e könnten somit von einer kleinen Minderheit jener Würdenträg­er blockiert werden, die für den Missbrauch­sskandal eine Mitverantw­ortung tragen. Wer kann das erklären?

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FOTO: VATICAN MEDIA/DPA Rainer Maria Woelki (l.) und Papst Franziskus bei einer Privataudi­enz des Kölner Erzbischof­s 2018 im Vatikan.

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