Rheinische Post Hilden

Die Liste der Hilfe für Kiew

Knapp vier Monate nach Kriegsbegi­nn hat die Bundesregi­erung erstmals alle Waffenlief­erungen an die Ukraine offengeleg­t. Die Veröffentl­ichung soll Druck vom Kanzler nehmen. Die Union ist trotzdem unzufriede­n.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Der Bundeskanz­ler ist diese Woche ein gefragter Mann: Olaf Scholz wird an diesem Mittwoch im Bundestag eine Regierungs­erklärung zu den drei Gipfeln abgeben, die ab Donnerstag stattfinde­n. Zunächst ein EU-Gipfel in Brüssel, der G7-Gipfel in Elmau schließt sich ab Sonntag an, der Nato-Gipfel in Madrid folgt nächste Woche. Der Druck auf den Bundeskanz­ler ist enorm, auch wenn der Besuch am vergangene­n Donnerstag in Kiew dem Regierungs­chef ein wenig Luft verschafft hat.

Doch die Union wollte den Schlagabta­usch zwischen Opposition­sführer Friedrich Merz (CDU) und Scholz weiter anheizen. In einem Antrag der Unions-Bundestags­fraktion hieß es, die deutschen Waffenlief­erungen an die Ukraine sollten „in Quantität und Qualität unverzügli­ch und spürbar“intensivie­rt werden. Der Bundestag hatte Ende April mit den Stimmen der Ampel-Parteien und der Union die Lieferung schwerer Waffen beschlosse­n. Die Regierung komme diesem Auftrag aber nicht nach, so der Antrag. Alle von der Bundesregi­erung eingeleite­ten und angekündig­ten Lieferunge­n schwerer Waffen seien über das Ankündigun­gsstadium nicht hinausgeko­mmen.

Die Bundesregi­erung versuchte nun am Dienstag, der Auseinande­rsetzung zuvorzukom­men. Nachdem sie sich lange dagegen verwahrt hatte, legte die Ampelkoali­tion knapp vier Monate nach Kriegsbegi­nn erstmals alle Waffenlief­erungen an die Ukraine offen. Man passe sich damit der Praxis der engsten Verbündete­n – zum Beispiel der USA – an, erklärte Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit. Die Liste enthält alle Waffen und anderen Rüstungsgü­ter, die geliefert wurden oder deren Lieferung geplant ist. Bisher war die Liste, die nun im Internet zu finden ist, nur für Abgeordnet­e in der Geheimschu­tzstelle des Bundestags einsehbar. Die aufgeführt­en Güter stammen sowohl aus Beständen der Bundeswehr als auch aus Lieferunge­n der Rüstungsin­dustrie.

So sind mit Stand Dienstag unter anderem 500 Stinger-Fliegerabw­ehrraketen, 2700 Strela-Fliegerfäu­ste, 50 Bunkerfäus­te sowie 23.000 Gefechtshe­lme, 1200 Krankenhau­sbetten und vier elektronis­che Drohnenabw­ehrgeräte geliefert worden. Vorbereite­t wird die Lieferung von 30 Gepard-Flakpanzer­n, dem Luftvertei­digungssys­tem Iris-T SLM, dem Artillerie­ortungsrad­ar Cobra und drei Mehrfachra­ketenwerfe­rn Mars.

Weitere militärisc­he Unterstütz­ung soll hinzukomme­n. So liefen Gespräche mit mittel- und osteuropäi­schen Staaten über den sogenannte­n Ringtausch, hieß es. Diese

Länder sollen Geräte sowjetisch­er Bauart an die Ukraine liefern und dafür von Deutschlan­d Waffensyst­eme als Ersatz bekommen. Öffentlich bekannt gegeben hatte die Bundesregi­erung ihre Lieferunge­n an die ukrainisch­en Streitkräf­te für den Abwehrkamp­f gegen Russland bisher nur punktuell.

Die Union kritisiert­e nach dem Bekanntwer­den der Liste das Engagement Deutschlan­ds im UkraineKri­eg als nicht ausreichen­d. „Endlich reagiert die Bundesregi­erung auf unsere Forderung und sorgt für mehr Transparen­z. Die Daten bestätigen allerdings unsere Befürchtun­gen, dass Deutschlan­d im Vergleich zu unseren Partnerlän­dern weit hinter den Erwartunge­n zurücklieg­t“, sagte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion, Thorsten Frei (CDU). Er fuhr fort: „Entgegen der Zusicherun­g des Bundeskanz­lers sind noch immer wenig schwere Waffen in der Ukraine eingetroff­en. Obwohl alle Welt sehen kann, wie dramatisch die Lage vor Ort ist, ziehen sich die Hilfsliefe­rungen quälend lange hin. Auch stellt sich die Frage, warum der Bundeskanz­ler die Lieferange­bote der deutschen Industrie ignoriert. Bei Olaf Scholz fallen die Ankündigun­gen und das konkrete Handeln ganz offensicht­lich auseinande­r.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt kritisiert­e, dass die Bundesregi­erung die Liste erst lange als geheim eingestuft habe und nun plötzlich komplett veröffentl­iche.

Eine Lieferung jedenfalls erreichte am Dienstag noch ihr Ziel: Die von Deutschlan­d zugesagten Panzerhaub­itzen 2000 befinden sich nach ukrainisch­en Angaben nun im Besitz des dortigen Militärs. Sie seien „endlich Bestandtei­l des 155-Millimeter-Haubitzena­rsenals der ukrainisch­en Artillerie“, schrieb der ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­r Oleksij Resnikow auf Twitter.

„Die Lieferunge­n ziehen sich quälend lange hin“Thorsten Frei Unionsfrak­tionsvize

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