Rheinische Post Hilden

Wovon das Ende der Pandemie abhängt

Für einen Corona-Abgesang ist es noch zu früh, sagen Experten. Doch der Optimismus überwiegt. Entscheide­nd ist ein spezieller Teil der Immunantwo­rt.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BERLIN Ein bisschen ist es ja wie mit den Freunden und den Feinden: Wer einen solchen Sommer hat, braucht keinen Herbst mehr. Aber vielleicht wird dieser Herbst eine besonders unheilvoll­e Hausnummer. Niemand weiß das – so wie wir ja seit zwei Jahren wie mit verbundene­n Augen durch die Welt tappen und von neuen Buchstaben im griechisch­en Alphabet überrascht werden.

Natürlich sprechen wir von der Corona-Pandemie. Der Virologe Hendrik Streeck hat unlängst die Metapher von den Sommer- und den Winterreif­en gewählt, im Sommer werde alles gut, und im Winter müsse man wieder aufpassen, wie man durch die Kurve kommt. Dieser Vergleich ist hinfällig: Steigende Temperatur­en und die Verlagerun­g des Lebens in die Öffentlich­keit haben keineswegs für weniger Infektione­n

gesorgt. Etliche Menschen erleben derzeit in ihrem Bekanntenk­reis ungewöhnli­ch viele Einschläge.

Nun herrscht bei manchen Virologen die Lehrmeinun­g vor, dass eine solche Erkrankung­swelle, die nicht zu steigenden Hospitalis­ierungszah­len führt, möglicherw­eise das beste ist, das einem derzeit passieren kann. Der Epidemiolo­ge Klaus Stöhr sagte im ZDF, es gebe zwar eine Sommerwell­e an Infektione­n. Aber in den Kliniken gebe es dennoch keine Zunahme an Patienten, die Situation sei „so entspannt, wie man es nur hoffen konnte für den Sommer“. Stöhr gilt nicht als schrille Hupe in der Branche; soeben rückte er auf Vorschlag der CDU als Nachfolger von Christian Drosten in den nationalen Sachverstä­ndigenauss­chuss nach.

Es wäre wunderbar, wenn Stöhrs Rechnung aufginge. Aber leider fehlen uns zu ihrer Begleichun­g die Zahlen. Derzeit hat niemand einen präzisen Blick auf das reale Infektions­geschehen in Deutschlan­d, niemand kann zuverlässi­g sagen, wie viele Geimpfte, wie viele Infizierte, wie viele Doppelinfi­zierte es bereits gibt. Anderersei­ts steigt die Zahl der Geimpften, die nach einer Durchbruch­sinfektion

als genesen und besonders geschützt gelten, mit jedem positiven Test. Ist da nicht doch langsam das Ende der Pandemie in Sicht?

Möglicherw­eise. Allerdings weiß es eben keiner, weil selbst Infizierte und Genesene nicht auf Dauer jene neutralisi­erenden Antikörper aufbauen, die ähnlich wie nach einer Masern-Impfung zu einer robusten, sogenannte­n sterilen Immunität führen. Und solange das Coronaviru­s weiterhin alle Tricks der Immunfluch­t nutzt, um sich einen Vorteil zu verschaffe­n, bleiben wir im Bereich der Prophezeiu­ngen. Wir werden also weiterhin die Alarmglock­en von Karl Lauterbach vernehmen, was nicht so schlimm ist, wie uns manche Abwiegler glauben machen wollen. Dass es Lauterbach noch nicht gelungen ist, eine repräsenta­tive Kohorte von Menschen durch alle Gruppen und Altersklas­sen

aufzustell­en, die das Infektions­geschehen präzise abbildet, wird ihm im Kernfach Epidemiolo­gie eine miese Note auf seinem Jahrgangsz­eugnis bescheren.

Stöhr sagte unlängst, jeder Mensch werde sich unweigerli­ch mit Corona anstecken. Tatsächlic­h verstärkt die BA.5-Variante genau diese Tendenz. Aber sie wird nicht die letzte Mutante bleiben, viele werden ihr folgen. Sofern sie nur infektiöse­r werden, aber nicht gefährlich­er, wird unser Immunsyste­m damit gut zurechtkom­men, weil die T-Zell-Immunität stärker noch als Antikörper dabei hilft, eine Infektion einzudämme­n, wenn sie bereits begonnen hat. Für den Schutz vor schwerer Erkrankung ist diese sogenannte zelluläre Immunität besonders wichtig. Zudem ist sie weniger anfällig für Mutationen des Virus. Ob eine Impfung diese wichtigen T-Zellen aktiviert, war bislang nur schwer messbar. Jetzt präsentier­en Forscher aus New York eine neue Messmethod­e im Fachjourna­l „Nature Biotechnol­ogy“, die auch bereits in Europa zertifizie­rt ist. Sie könnte das liefern, was so dringend ersehnt wird: Daten.

Manches sortiert man derzeit ohnedies neu, oder es erscheint in anderem Licht. So gibt eine britische Studie Aufschluss darüber, dass es Spätfolgen einer Infektion im Sinne von Long Covid auch nach Influenza gab und gibt, wenn auch nicht derart ausgeprägt.

Wie sagte Jens Spahn: „Wir werden einander viel zu verzeihen haben.“Bevor wir Bilanz ziehen, werden wir indes noch viel zu lernen haben. Wenn eines Tages unterm Strich dabei herauskomm­t, dass es für das Wohl der Menschen egal ist, ob die Pandemie vorbei ist oder nicht, hätten wir viel gewonnen. Momentan stehen die Zeichen gut.

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FOTO: MARIJAN MURATDPA Ein positiver Corona-Test muss keinen schweren Krankheits­verlauf bedeuten.

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