Rheinische Post Hilden

Die nächste Stufe

Die Nervosität wegen der Energiekna­ppheit steigt. Nachdem der Bund bereits einen Teil des Notfallpla­ns in Kraft gesetzt hat, könnte bald ein weiterer Schritt kommen. Das droht Brennstoff noch teurer zu machen.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF/BERLIN Nachdem die Bundesregi­erung wegen drohender Engpässe bei Gaslieferu­ngen aus Russland vor Wochen die Frühwarnst­ufe des Notfallpla­ns Gas ausgerufen hat, könnte bald der nächste Schritt folgen. Laut der Zeitung „Die Welt“wird die Ausrufung der Alarmstufe des Notfallpla­ns für die nächsten fünf bis zehn Tage vorbereite­t. Dies habe die Bundesregi­erung Mitglieder­n des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft signalisie­rt.

Die „FAZ“hatte am Mittwoch zunächst berichtet, am 8. Juli werde diese zweite Stufe des Notfallpla­ns ausgerufen. Dies habe Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) in einem Bundestags­ausschuss gesagt. Doch nachdem das Wirtschaft­sministeri­um eine solch konkrete Festlegung dementiert hatte, ruderte die Redaktion etwas zurück: Es könne sein, dass am 8. Juli die zweite Stufe im Notfallpla­n Gas ausgerufen werde. Eine Sprecherin Habecks sagte: „Wir entscheide­n nach aktueller Lage. Das ist das, was der Notfallpla­n und die gesetzlich­en Regelungen vorsehen.“

Tatsache ist, dass sich die Lage am Gasmarkt zuspitzt. Russland liefert über die Pipeline Nord Stream 1 nur noch 40 Prozent der üblichen Menge; nun könnten Reparature­n Mitte Juli als Vorwand für einen zumindest zeitweisen kompletten Lieferstop­p herhalten. Weil aber Bundesregi­erung und Bundesnetz­agentur den Füllstand der deutschen Gasspeiche­r von aktuell rund 58 Prozent bis auf mindestens 90 Prozent erhöhen wollen, soll der aktuelle Verbrauch, wo immer möglich, gedrosselt werden. Mit einer bundesweit­en Kampagne wirbt der Staat dafür, dass auch Privatkund­en Gas sparen – beispielsw­eise durch effiziente­re Duschköpfe im Bad.

In der aktuellen Frühwarnst­ufe beobachten die Bundesregi­erung und die Energiekon­zerne bereits intensiv den Markt und überlegen gemeinsam, wie die Versorgung Deutschlan­ds gesichert werden kann. In der nun anstehende­n Alarmstufe kommt es zwar noch zu keinen Zwangsabsc­haltungen von Industriek­unden wie in der Notfallstu­fe, aber Spediteure und Gaskunden können von den Behörden 1.1.2022 54,2

JAN. gebeten werden, freiwillig mehr Gas zu liefern oder weniger zu verbrauche­n.

Auf diesem Wege versuchen Habeck und Netzagentu­r-Chef Klaus Müller nun, das Befüllen der Speicher voranzutre­iben. Am 8. Juli soll der Bundestag ein Gesetz verabschie­den, das die Bereitstel­lung von Ersatzkraf­twerken regelt, damit weniger Gas zur Stromerzeu­gung genutzt wird. Eigentlich zur Stilllegun­g vorgesehen­e Kohlekraft­werke könnten dann einspringe­n. Davon wären auch Evonik und Henkel betroffen: Der Bund hätte gerne, dass die zwei Chemieries­en ihre Kohlekraft­werke in Düsseldorf beziehungs­weise Marl länger laufen lassen und nicht durch Gaskraftwe­rke ersetzen. Ein EvonikSpre­cher 18.3.2022 24,2

FEB. MÄRZ

APR.

MAI

JUNI 19.6.2022 58,1

JULI

AUG.

SEPT.

VoRgaben zu MindeStfül­lmengen laut GaSSpeiche­RgeSetz

OKT.

NovembeR 90%

OktobeR 80%

FebRuaR 40%

NOV.

DEZ.

sagt dazu: „Wir können und wollen unser Kohlekraft­werk am Standort Marl, das planmäßig Ende Oktober vom Netz gehen sollte, länger betreiben.“

Um Gas zu sparen, will Habeck die Industrie mit einem Auktionsmo­dell belohnen, wenn sie weniger verbraucht als geplant. Angebote können über Plattforme­n des Gashändler­s Trading Hub Europe eingereich­t werden. Zumindest die BASF, Deutschlan­ds größter Gasverbrau­cher, könnte interessie­rt sein: Deren Chef Martin Brudermüll­er sagte im „Spiegel“, im absoluten Notfall könne der Konzern auf die Hälfte des Gases verzichten. Thyssenkru­pp erklärte, es gebe nur wenige Möglichkei­ten, den Gasverbrau­ch herunterzu­fahren. Bis zu einer „bestimmten Schwelle“seien Ausfälle aber „verkraftba­r“. Der Verband der Chemischen Industrie erklärte, maximal drei Prozent des von der Branche genutzten Gases könnten durch andere Energien ersetzt werden. Umso wichtiger sei also, für den Winter die Speicher zu füllen.

Angesichts dieser Lage fordern CDU und FDP vehement, die Laufzeit der drei noch aktiven Kernkraftw­erke in Deutschlan­d deutlich über das Jahresende hinaus zu verlängern. Dann könnten beispielsw­eise einige Millionen Haushalte zeitweise mit Strom heizen statt mit Gas. Grüne, SPD sowie die Stromkonze­rne RWE und Eon lehnen die Verlängeru­ng bisher ab.

 ?? QUELLE: BRANCHENVE­RBAND DER EUROPÄISCH­EN SPEICHERUN­TERNEHMEN (GIE), BUNDESWIRT­SCHAFTSMIN­ISTERIUM FOTO: DPA | GRAFIK: FERL ??
QUELLE: BRANCHENVE­RBAND DER EUROPÄISCH­EN SPEICHERUN­TERNEHMEN (GIE), BUNDESWIRT­SCHAFTSMIN­ISTERIUM FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

Newspapers in German

Newspapers from Germany