So viel Neustart wie lange nicht mehr
Daniel Farke wird am Sonntag sein erstes Training als Gladbach-Coach leiten. Mit ihm ist die Hoffnung auf eine Rückkehr zum Ballbesitzspiel verknüpft. Das soll auch die Stimmung zwischen Klub und Fans wieder verbessern.
MÖNCHENGLADBACH Es ist nicht verwegen, zu behaupten, dass am Sonntag mehr Fans zum ersten Training der Saisonvorbereitung in den Borussia-Park kommen werden als fast auf den Tag genau zwei Jahre zuvor Menschen das finale Bundesligaspiel gegen Hertha BSC live sahen. Schließlich durften damals durch die Zuschauerbeschränkungen nur 20.000 Pappaufsteller im BorussiaPark sein, als Gladbach mit einem 2:1 gegen Berlin den Einzug in die Champions League klarmachte.
Es war der Abschluss einer starken ersten Saison unter Trainer Marco Rose, der seine Erfolgsgier und Power auf den Klub übertragen sollte. Zwei Jahre später ist selbst Roses Nachfolger Adi Hütter schon wieder Geschichte, statt neuer Höhenflüge folgten dem Königsklassen-Einzug die enttäuschenden Plätze acht und zehn, zwischenzeitlich gar Abstiegskampf. Ein Umbruch muss her, und das bezieht sich nicht nur auf den Kader, in dem es zuletzt weniger Fluktuation gegeben hatte als gewünscht. Vielmehr ist es so, dass Borussia mit dem Beginn der Vorbereitung einen Neustart angeht, wie er größer kaum sein kann.
Denn in Sportdirektor Roland Virkus, der im Februar auf den ausgeschiedenen Max Eberl folgte, und Trainer Daniel Farke hat Borussia zwei neue Führungsfiguren. Während sich Virkus mit seinem Team vornehmlich um die Umstrukturierung des Kaders kümmern muss – und dort nun mit dem Verkauf von Laszlo Bénes an den Hamburger SV einen ersten kleinen Erfolg verbuchen konnte –, ist mit Farke die Rückkehr zum Ballbesitzspiel verknüpft, mit dem Borussia ab 2011 die sportliche Renaissance schaffte.
Der neue Trainer und der veränderte Spielstil sollen entscheidend dazu beitragen, dass sich auch die Grundstimmung zwischen Verein und Fans nach zwei Jahren des Frustes – gespeist aus der Distanz durch die Pandemie sowie aus dem sportlichen Misserfolg – wieder deutlich verbessert. So viel Neustart auf einmal war zum Auftakt einer Vorbereitung wohl nie in Gladbach.
Dass ein Trainer mit Saisonbeginn bei Borussia startet, ist nun mit Farke erst zum achten Mal seit dem Bundesliga-Aufstieg vor 57 Jahren der Fall. Bei Udo Lattek 1975, Jupp Heynckes 1979 und Wolf Werner 1987 verlief der Übergang fließend. Und auch Heynckes 2006 – nach der besten Platzierung der vergangen zehn Jahre – und Michael Frontzeck 2009 – nach dem unter Retter Hans Meyer geschafften Klassenverbleib – starteten ohne große Hypothek.
Die Ansprüche stiegen nach anderthalb Jahrzehnten in der unteren Tabellenhälfte oder gar der Zweiten
Bundesliga, als 2011 nach der geglückten Relegation der sportliche Umschwung gelang. In der Folge sorgten tabellarische Rückschritte, die zum Verpassen der internationalen Plätze führten, des Öfteren zu vermehrten Rufen nach Veränderung.
2013 war das allerdings noch nicht so extrem der Fall, galt der achte Platz nach dem sensationellen vierten Rang im Jahr zuvor als klares Indiz, dass sich Borussia wieder in höheren Gefilden etablieren konnte. Die folgenden Jahre, die wieder in den Europacup führten, gaben den Verantwortlichen Recht, es war wieder Kontinuität in den BorussiaPark eingezogen. 2018 war die Stimmung schon eine andere, nachdem es zum zweiten Mal in Folge nur für den neunten Platz gereicht hatte. Damals war eine Systemänderung entscheidend für die Wende, im 4-33 spielten sich die Borussen unter Trainer Dieter Hecking wieder ins internationale Geschäft.
Trotzdem musste Hecking 2019 gehen, Rose übernahm und sollte einen noch deutlich aktiveren und aggressiveren Spielstil etablieren. Er tat dies mit einem fünften Tabellenplatz im Rücken und dem Wissen, dass er in Stefan Lainer, Ramy Bensebaini, Breel Embolo und Marcus Thuram vier Spieler bekam, die zu seiner Spielidee passten. Als Rose im vergangenen Jahr dann vorzeitig Gladbach verließ, sollte Adi Hütter den von der RB-Schule geprägten Stil fortführen, er schaffte es aber nie, Fans und Mannschaft für sich zu gewinnen und damit die bereits gekippte Stimmung wieder zu drehen.
Dies wird nun eine der Hauptaufgaben für Farke sein. Es gilt, eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen und Mannschaft wie Umfeld auf dem neuen Weg mitzunehmen. Am Sonntag werden Farke und sein Team den ersten kleinen Schritt dazu machen. Der Neustart kann beginnen.