Documenta-Verantwortliche in der Kritik
Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes sieht „eine Reihe falscher Entscheidungen“der Veranstalter.
BERLIN/KASSEL (dpa/epd) Der Antisemitismusbeauftragte des Bundes hat die Organisatoren der Documenta 15 für „eine Reihe falscher Entscheidungen“kritisiert. „Die Entscheidung der Kuratoren, dass zu einer der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt keine jüdischen Künstler oder solche aus Israel eingeladen wurden, war der Beginn einer Reihe von Fehlentscheidungen, sodass sich die nun eingetretene Situation seit Wochen angekündigt und immer weiter zugespitzt hat“, sagte Felix Klein: „Spätestens jetzt ist es nun dringend geboten, dass endlich der Dialog gesucht wird, unter anderem mit dem Zentralrat der Juden.“
Ein Werk namens „People‘s Justice“des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hatte eine Welle der Empörung ausgelöst; viele sahen darin antisemitische Motive. Zu sehen war eine Figur mit krummer Nase, spitzen Zähnen und einem Hut mit SS-Runen, zudem ein Mensch mit Schweinegesicht und Helm mit der Aufschrift „Mossad“, dem Namen des israelischen Geheimdienstes. Die Verantwortlichen der Documenta hatten zunächst entschieden, das Werk mit schwarzen Stoffbahnen zu verhängen. Am Dienstagabend wurde es dann ganz abgebaut – unter Buhrufen, Pfiffen und Klatschen von Zuschauern.
Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz wirft den Verantwortlichen in Kassel Versagen vor. „Die Veranstalter mussten doch sensibilisiert sein, bei all dem Trommelfeuer, das es im Vorfeld gegeben hat“, sagte der Historiker dem „Tagesspiegel“.
Die Documenta hätte viel früher Experten hinzuziehen müssen, um zu überlegen, wie sie sich positioniert: „Als Hausherr der Documenta würde ich selbstverständlich aus politischer und historischer Verantwortung prüfen, ob etwas in dieser Ausstellung gegen Menschenrechte verstößt, ob etwas Juden oder andere Minderheiten beleidigt.“
Der Kasseler Soziologe Heinz Bude hat die Vorgänge als „größte Beschädigung der Marke Documenta seit ihrem Bestehen“bezeichnet. Das sei ein Fazit, das man schon jetzt ziehen könne, sagte Bude am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der Universität Kassel zum Thema „Holocaust und Postcolonial Studies: Fragen, die sich wissenschaftlich nicht lösen lassen“. Bude ist Gründungsdirektor des Documenta-Institutes
und moderierte die Diskussion.
Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen, kritisierte noch einen anderen Punkt: Im Programm befänden sich pro-palästinensische Propagandafilme. Die Filme würden weitgehend unkommentiert gezeigt, und die Herkunft und Verbindung der Filme zu der linksextremen und antisemitischen Terrorgruppe Japanische Rote Armee werde nicht problematisiert, sagte Claussen. Laut Internetseite der Documenta sollen restaurierte Filme aus den 70ern zu sehen sein. Allerdings sind alle Veranstaltungen der Documenta, auch Filmvorführungen, bis Donnerstag wegen „aktueller Entwicklungen“der Pandemie abgesagt.