Tanz auf dem Vulkan
Drei kleine, unterschiedliche Erlebnisse, die viel über unsere Zeit aussagen.
Drei Erlebnisse der vergangenen Woche möchte ich heute mit Ihnen teilen. Das Käthe-Kollwitz-Museum in Köln zeigte eine Sonderausstellung mit „Werken hinter den Meisterwerken“. Da gab es Zeichnungen geschundener Frauen, hungernder und mit Gewalt von ihren Müttern getrennter Kinder, ein Plakat mit der Aufschrift „Nie wieder Krieg“. Viele dieser Werke entstanden in den 1920er-Jahren. Und spiegeln dennoch so viel an Aktualität wider, dass einige Besucher es kaum verkrafteten und fluchtartig das Museum verließen. Szenenwechsel: Auf der Rückfahrt nach Hause stand vor mir im Stau ein Wohnmobil. Auf der Rückfront prangte die Aufschrift: „Wir reisen, bis wir sterben, sonst reisen unsere Erben.“Noch einmal Szenenwechsel: Zu Hause
geriet ich in die „Magic Bike“in Rüdesheim, ein Treffen von HarleyDavidson-Fans, zu dem in diesem Jahr 30.000 Besucher mit ihren Maschinen gekommen waren.
Was haben diese Szenen miteinander zu tun? Sie spiegeln die ganze Ambivalenz, das Hin-und-her-gerissenSein unserer aufgewühlten Welt und unserer aufgescheuchten Seelen wie in einem Brennglas wider. Da ist zum einen die Angst vor einer Ausweitung des Krieges, das Erschrecken über die Brutalität und Gewalt. Da ist zum anderen der unbedingte Wille, das Leben zu genießen, Einschränkungen hinter sich zu lassen und die neu gewonnene Freiheit endlich in vollen Zügen auszukosten. Da ist zum Dritten die Sehnsucht nach Harmonie und Gemeinschaft. Vielleicht auch ein Stück
Flucht ins Vergnügen. Wer von uns weiß schließlich, ob wir nicht auf einem Pulverfass sitzen, das jeden Moment explodieren kann? Eine fast 100-jährige Mitschwester fühlt sich derzeit an die Goldenen Zwanziger erinnert, als viele Menschen den Tanz auf dem Vulkan wagten. Ich sehne mich vor allem nach einer Ruhepause, nach Abstand und Stille, um meine Gedanken und Gefühle zu ordnen und wieder neu in ein inneres Gleichgewicht zu bringen.
Unsere Autorin ist Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen und stammt aus Ratingen. Sie wechselt sich hier mit der evangelischen Pfarrerin Friederike Lambrich, Rabbi Jehoschua Ahrens und dem Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide ab.