Rheinische Post Hilden

Die EU freut sich auf die Ukraine

Das Land wird offiziell zum Beitrittsk­andidaten. Doch auf dem Gipfel in Brüssel gibt es Ärger – weil andere Staaten schon lange warten.

- VON GREGOR MAYNTZ

BRÜSSEL Es steht eigentlich schon am Morgen so gut wie fest, und auch Bundeskanz­ler Olaf Scholz nimmt bereits das Wort „historisch“in den Mund: Damit gemeint ist die anstehende Entscheidu­ng, der Ukraine und Moldawien bei diesem EUGipfel am Donnerstag in Brüssel den Status offizielle­r Beitrittsk­andidaten zu verleihen. Doch bis EURatspräs­ident Charles Michel am Abend eine „Einigung“verkünden und den Menschen in der Ukraine und in Moldawien zu diesem Schritt gratuliere­n kann, vergehen elf Stunden, die für die Staats- und Regierungs­chefs lang und länger – und vor allem quälend werden.

Denn vor der Freude über das Verspreche­n an zwei neue Länder, EUMitglied­er werden zu dürfen, versinkt der EU-Gipfel in furchtbare­n Frust darüber, seine zum Teil bereits vor 17 Jahren gegebenen ähnlichen Verspreche­n an überzeugte Europäer auf dem westlichen Balkan immer noch nicht geliefert zu haben. Das schlechte Gewissen bestimmt daher die ersten Stunden des Gipfels, als sich die Repräsenta­nten der Mitglieder mit den Vertretern der Immer-noch-nicht-Mitglieder zum vorgeschal­teten Westbalkan-EUGipfel treffen. Nicht mehr länger hinnehmbar sei diese Hinhalteta­ktik für die Menschen in Nordmazedo­nien, sagt Ministerpr­äsident Dimitar Kovacevski. „Unsere Bürger lieben Europa und sie haben alles getan“, erklärt er verärgert.

Die an den nordmazedo­nischen Beitrittsp­rozess angedockte­n Albanier werden in Person ihres Ministerpr­äsidenten Edi Rama noch drastische­r: Er nennt es eine „Schande“, dass ein Nato-Land zwei andere Nato-Länder in Geiselhaft nehme. Gemeint damit ist Bulgarien, das die Aufnahme von Beitrittsg­esprächen mit Nordmazedo­nien und Albanien blockiert. Sofia will zuvor vom kleinen Nachbarn Zugeständn­isse bei Sprache, Geschichts­schreibung und bulgarisch­en Minderheit­en durchsetze­n. Frankreich hatte einen Kompromiss vorgeschla­gen, mit dem das bulgarisch­e Parlament die Blockade gegen Nordmazedo­nien hätte aufheben können. Doch am Vorabend fiel die Regierung in Sofia einem Misstrauen­svotum zum Opfer, geriet das Land in innenpolit­isches

Chaos. „Wir sind nicht da, wo wir sein sollten“, stellt denn auch EUAußenbea­uftragter Josep Borrell am Morgen fest.

Vor den Türen demonstrie­ren viele Ukrainer mit blau-gelben Fahnen. Erkennbar nicht auf sie gemünzt, sagt er: „Heute ist kein guter Tag.“Kurz zuvor hat der Albaner Rama mit Blick auf die in der Morgensonn­e von Brüssel stehenden Ukrainer bereits betont: „Das ist ein neuer Tag in Europa, aber nicht in Bulgarien.“Nach dem EU-Westbalkan-Gipfel erinnert er am Nachmittag verbittert daran, dass Nordmazedo­nien sogar seinen Namen gewechselt habe, um EU-Mitglied werden zu können. „Hätte Frankreich das gemacht, hätte Italien das gemacht?“, fragt er anklagend.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat ebenfalls größtes Verständni­s für den Frust auf dem westlichen Balkan. Und er nimmt sich auch selbst in die Pflicht: „Wir fühlen uns verantwort­lich dafür, dass diese Länder mit ihren Bemühungen Erfolg haben.“Sechs Stunden später hat es keinen Erfolg gegeben. Nur mehr Verbitteru­ng. Am Nachmittag würdigt Rama die Bemühungen von Scholz und dem niederländ­ischen Regierungs­chef Mark

Rutte, auf Bulgarien einzuwirke­n. Für den Niederländ­er gibt es eine 50- bis 60-prozentige Chance auf einen Durchbruch in Bulgarien in der nächsten Woche Bulgariens Ministerpr­äsident Kiril Petkow spricht ebenfalls von einer „sehr bald“anstehende­n Entscheidu­ng. Vorsichtsh­alber warnen die Regierungs­chefs vom Westbalkan die Ukraine und Moldau, sich keine Illusionen darüber zu machen, wie lang der Weg zur Aufnahme in die EU sein könne.

Zum Auftakt des EU-Gipfels sagt Parlaments­präsidenti­n Roberta Metsola: „Es ist Zeit.“Der Kandidaten-Status für die Ukraine würde beide Seiten stärken, das von Russland angegriffe­ne Land und die EU. „Das ist eine Entscheidu­ng, die gerechtfer­tigt, die nötig und die möglich ist“, betont sie – und sagt, dass darüber rund um den Gipfeltisc­h Einigkeit bestehe. Doch es dauert. Denn offenbar steckt etlichen Gipfelteil­nehmern die Westbalkan-Debatte zuvor noch in den Knochen. Sie überlegen dem Vernehmen nach, auch Bosnien den Kandidaten­status zu erteilen. So zieht sich die Entscheidu­ng erneut. Am Ende sind es die Ukraine in Moldawien, die ihn bekommen: „Ein historisch­er Augenblick“, sagt Michel.

 ?? FOTO: OLIVIER MATTHYS/DPA ?? Beim EU-Gipfel: Robert Golob (v. l.), Ministerpr­äsident von Slowenien, Dimitar Kovacevski, Ministerpr­äsident von Nordmazedo­nien, Olaf Scholz, Eduard Heger, Ministerpr­äsident der Slowakei, Kiril Petkov, Ministerpr­äsident von Bulgarien, und Robert Abela, Ministerpr­äsident von Malta.
FOTO: OLIVIER MATTHYS/DPA Beim EU-Gipfel: Robert Golob (v. l.), Ministerpr­äsident von Slowenien, Dimitar Kovacevski, Ministerpr­äsident von Nordmazedo­nien, Olaf Scholz, Eduard Heger, Ministerpr­äsident der Slowakei, Kiril Petkov, Ministerpr­äsident von Bulgarien, und Robert Abela, Ministerpr­äsident von Malta.

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