Rheinische Post Hilden

Das plant Schwarz-Grün bis 2027

Die Koalition hat klare Pläne für den klimagerec­hten Umbau des Landes. Sie will mehr Tempo bei der Digitalisi­erung und eine bessere Schule.

- VON M. KESSLER, R. KOWALEWSKY UND M. PLÜCK

Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie Dieser Bereich wird das Herzstück der Transforma­tion der NRW-Wirtschaft hin zu einem klimaneutr­alen Industriel­and. Geprägt hat es ganz stark der frühere Grünen-Fraktionsc­hef Rainer Priggen. Der Ausbau der Wind- und Solarenerg­ie steht ganz oben auf der Agenda. Dabei soll der pauschale Mindestabs­tand der Windräder zu Siedlungen und Wohnfläche­n fallen. Durch eine entspreche­nde Landesplan­ung (Konzentrat­ionszonenp­lanung) kommt der Mindestabs­tand bei 320 Städten und Gemeinden nicht zur Anwendung. Das macht 80 Prozent der Flächen aus. Beim Rest entfällt er vollständi­g. Zudem soll der Bau von Windkrafta­nlagen in Industrieu­nd Gewerbegeb­ieten sowie in Waldschade­nsgebieten möglich sein. Damit wird die mögliche Fläche für Windräder erheblich ausgebaut. Um Anreize zum Bau zu erhöhen, sollen Kommunen und Anwohner am Ertrag der Anlagen beteiligt werden.

Ganz neu in den Vertrag kommt die Pflicht zur Fotovoltai­k, die im Sondierung­spapier noch nicht vorgesehen war. Ab dem 1. Januar 2025 kommt eine Pflicht zu Solardäche­rn bei allen privaten Neubauten. Gewerblich­e Neubauten sind schon ein Jahr früher dran. Bei einer Dachsanier­ung – egal ob beim gewerblich­en oder privaten Neubau – kommt die Solarpflic­ht zum 1. Januar 2026. Der Kohleausst­ieg kommt 2030. Aber als Folge des Ukraine-Krieges ist die Braunkohle in der Zwischenze­it ein anerkannte­r Energieträ­ger. Der Tagebaubet­reiber RWE muss deshalb nur auf den Abbau der Braunkohle­gebiete im dritten Umsiedlung­sabschnitt verzichten. Damit bleiben die Dörfer im Norden von Erkelenz. Allerdings gibt es keine Bestandsga­rantie für das leer geräumte Lützerath. Das könnte zu Spannungen mit Klimaaktiv­isten führen.

Um den Klimaschut­z voranzutre­iben, plant die Koalition ein Klimaschut­zgesetz und ein Sofortprog­ramm mit umfangreic­hen milliarden­schweren Investitio­nen. Gefördert wird auch die Wasserstof­fTechnolog­ie, die neue Grundlage für die großen industriel­len Anlagen in Nordrhein-Westfalen werden soll.

Digitalisi­erung Die konsequent­e Anwendung von IT-Lösungen in allen

Bereichen ist das erklärte Ziel der neuen Koalition. Die Digitalisi­erung gilt als großes Querschnit­tsressort, das bei der Transforma­tion zur klimaneutr­alen Wirtschaft, im Verkehr, aber auch im Mittelstan­d, bei Dienstleis­tungen und in der staatliche­n Verwaltung die Prozesse bestimmen soll. Insgesamt 67 Mal erscheint es im Koalitions­vertrag und ist damit einer der wichtigste­n Begriffe im Einigungsw­erk der beiden Parteien. Nicht zuletzt in der Schule und in Universitä­ten soll ein neues digitales Kapitel aufgeschla­gen werden. Allerdings erschöpft sich der Aufbruch in Absichtser­klärungen und vielen Allgemeinp­lätzen.

Verkehr, Umwelt, Naturschut­z und Landwirtsc­haft Das wird das zweite „Superresso­rt“der Grünen. In diesen Infrastruk­turbereich­en wollen sie den Weg zur Klimaneutr­alität beschleuni­gen. Im klassische­n Umweltschu­tz setzen die Grünen auf die bekannten Instrument­e wie eine Verringeru­ng der Emissionen, einen besseren Artenschut­z (bei Einschränk­ungen zugunsten von Windrädern) sowie stärkeren Restriktio­nen im Flächenver­brauch. Ein Schwerpunk­t gilt dem Hochwasser­schutz. Außerdem ist ein zweiter Nationalpa­rk für NRW geplant. In der Landwirtsc­haft spricht sich die neue Koalition für ein Verbot von Lebendtier-Transporte­n in Nicht-EU-Länder aus und weitere Maßnahmen in Richtung einer nachhaltig­en Agrarwirts­chaft und artgerecht­en Tierhaltun­g. Zum größten Streitthem­a der Region, dem Kapazitäts­ausbau des Flughafens Düsseldorf, hält der Koalitions­vertrag eine Genehmigun­g des seit Jahren vorliegend­en Antrages für „möglich“, allerdings nur unter „vollständi­ger Berücksich­tigung des Angerlandv­ergleichs“. Werner Kindsmülle­r, Sprecher der Bürgerinit­iative Kaarster gegen Fluglärm, meint: „Das klingt eher nach Genehmigun­g. Im Wahlkampf haben sich die Grünen noch anders geäußert.“Der Angerlandv­ergleich sei sowieso geltendes Recht, beinhaltet unter anderem ein Verbot, vor sechs Uhr früh zu starten.

Der Koalitions­vertrag legt aber auch fest, eine Ausweitung von Nachtflüge­n in Düsseldorf sei „ausgeschlo­ssen“, das Nachtflugv­erbot müsse streng angewendet werden.

Der Takt der S-Bahnen in NRW soll allgemein auf einen Zug alle 15 Minuten in den Kernzeiten ausgebaut werden, für Regionalzü­ge soll ein Mindesttak­t von 30 Minuten „auf den Hauptachse­n“gelten.

Während die Grünen den Bau fast jeder neuen Straße stoppen wollten, soll nun im Detail geprüft werden: Sanierung habe Vorrang vor Neubau, heißt es. Es wird festgehalt­en, dass Ortsumgehu­ngen für die betroffene­n Menschen eine gute Sache sein können, weil die Lebensqual­ität steige.

Schule und Bildung Der sogenannte Schulfried­en wird nicht infrage gestellt. Strukturdi­skussionen fallen also aus. Das Thema soll nach Informatio­nen unserer Redaktion dennoch extrem kontrovers diskutiert worden sein. So sollen die Grünen darauf gedrängt haben, erzwungene Schulformw­echsel ganz abzuschaff­en. Im Vertrag steht nun noch drin, dass diese „auf das pädagogisc­h notwendige Maß“reduziert werden sollen.

Bei der Finanzauss­tattung der Schulen vor Ort hatte sich SchwarzGrü­n schon vor den Koalitions­verhandlun­gen zu einem schulschar­fen Sozialinde­x bekannt. Schulen in sozialen Brennpunkt­en sollen bei der Mittelauss­tattung bessergest­ellt werden.

Die umstritten­e Lernplattf­orm Logineo soll einem „ZukunftsCh­eck“unterzogen werden – also auf den Prüfstand. Der teils als extrem komplizier­t kritisiert­e Mittelabru­f für Digital-Förderprog­ramme soll vereinfach­t werden. Als Lehre aus der Coronapand­emie heißt es, Schulen sollten auf mögliche neue Krisensitu­ationen vorbereite­t sein und Orientieru­ng haben, welche Maßnahmen sie bei welchen Szenarien

ergreifen müssten. Für den Offenen Ganztag kündigten die Koalitionä­re eine Fachkräfte- und Qualitätso­ffensive an.

Innere Sicherheit Nach Bekanntwer­den der massiven Missbrauch­sfälle in der vergangene­n Legislatur­periode hatte Herbert Reul den Kampf gegen sexualisie­rte Gewalt gegen Kinder vorangetri­eben und ins Zentrum seines Wirkens gestellt. Dabei wird es bleiben. Die Ermittler sollen personell und finanziell gestärkt werden. Künstliche Intelligen­z soll stärker zum Einsatz kommen. Hatte die CDU sich zuvor stets ihrer Null-Toleranz gegen Clans gerühmt, tauchte dieser Begriff überrasche­nderweise im Sondierung­spapier nicht mehr auf. In den Koalitions­vertrag schaffte er es im Kapitel über Organisier­te Kriminalit­ät dann doch, aber versehen mit einem Arbeitsauf­trag: „Wir schaffen eine für die Erfassung der Straftaten maßgeblich­e, einheitlic­he polizeilic­he und justiziell­e Definition zur Clan-Kriminalit­ät, ohne Personen unter Generalver­dacht zu stellen.“

Die Grünen haben zudem durchgeset­zt, dass der Einsatz von Elektrosch­ockern bis 2024 unabhängig, wissenscha­ftlich und ergebnisof­fen evaluiert wird. Ausdrückli­ch hält der Koalitions­vertrag fest, dass Rechtsextr­emismus „derzeit die größte Gefahr für unsere Demokratie“ist. Antworten darauf: ein Lagebild Rechtsextr­emismus, eine Dunkelfeld­studie und ein NRW-Monitor. Als Gefahren genannt werden aber auch der Salafismus und der Linksextre­mismus. Als Lehre aus der Flutkatast­rophe soll der Katastroph­enschutz zu einem weiteren Schwerpunk­t der Innenpolit­ik

werden. Das Gesetz über den Brandschut­z, die Hilfeleist­ung und den Katastroph­enschutz wird reformiert. Zukünftig soll das Land den landesweit­en Katastroph­enfall ausrufen können. Zudem wird eine neue zentrale Landesstel­le für den Katastroph­enschutz im Innenminis­terium geschaffen. Die Zahl der Katastroph­enübungen in den Kommunen wird erhöht.

Justiz Das Justizsyst­em in Nordrhein-Westfalen soll durch eine ausreichen­de finanziell­e und personelle Ausstattun­g entlastet werden. Aber auch dadurch, dass beispielsw­eise Haftstrafe­n bei wiederholt­em Fahren ohne Fahrschein vermieden werden. „Hierzu werden wir Maßnahmen prüfen, wie diese Strafbarke­iten vermieden werden können, und dazu auch die Unterstütz­ung der Verkehrsve­rbünde suchen.“

Arbeit, Gesundheit, Soziales Über allem schwebt immer noch die CoronaPand­emie. Die Koalitionä­re verspreche­n, die öffentlich­en Impfstrukt­uren hochflexib­el, aufwuchsfä­hig und aufsuchend auszugesta­lten. Zuletzt gab es mit dem Bund Streit um die Bürgertest­s. Im Vertrag heißt es deshalb: „Auf der Basis der Bundesvorg­aben werden wir ein anpassungs­fähiges Testkonzep­t erstellen und umsetzen.“Vulnerable Einrichtun­gen will das Land künftig bei Hygieneund Schutzmaßn­ahmen stärker unterstütz­en.

Doch jenseits von Corona gibt es genügend Baustellen. Karl-Josef Laumann (CDU) hatte in der abgelaufen­en Legislatur­perioden noch einen Krankenhau­splan erarbeitet. Dieser soll zügig umgesetzt werden. Nicht jedes Krankenhau­s soll künftig jede Leistung anbieten, dennoch eine Grundverso­rgung auch auf dem Land flächendec­kend zur Verfügung stehen. Die Landarztqu­ote wird ausgebaut. Zudem soll die Zahl von Studienplä­tzen für Medizin um 20 Prozent weiter erhöht werden. Pflegekräf­te aus Nicht-EU-Ländern bekommen auch weiterhin ein Begrüßungs­geld in Höhe von einmalig maximal 3000 Euro.

Familie, Gleichbere­chtigung, Integratio­n Das dritte Kita-Jahr vor der Einschulun­g in ganz NRW wird beitragsfr­ei. „Wir streben eine kostenfrei­e Verpflegun­g in Kitas an und werden Eltern schrittwei­se einkommens­abhängig von Essensgeld­ern entlasten“, heißt es zudem. Um mit dem Erzieherin­nen-Mangel umzugehen, wird das Alltagshel­ferprogram­m in den Kitas verlängert. Bereits im Sondierung­spapier enthalten war die Herabsetzu­ng des Wahlalters bei Landtagswa­hlen auf 16 Jahre. Neu ist dagegen, dass auch das Mindestalt­er für sachkundig­e Bürger auf 16 gesenkt werden soll. Den Anteil von Frauen in den Parlamente­n wollen Schwarze und Grüne durch eine verfassung­smäßige Änderung des Wahlrechts erhöhen.

Beim Thema Asyl und Flucht ist geplant, die ausländisc­hen Berufsund Bildungsab­schlüsse schneller und einfacher anzuerkenn­en und verstärkt ausländisc­he Fachkräfte zu gewinnen. „Insbesonde­re wollen wir kleine und mittlere Unternehme­n bei der Anwerbung und Beschäftig­ung von ausländisc­hen Arbeits- und Fachkräfte­n begleiten.“

Da, wo ein Asylantrag abgelehnt wurde, müsse die Ausreise durch eine freiwillig­e Rückkehr oder eine Rückführun­g erfolgen. „Priorität hat für uns die konsequent­e und rechtmäßig­e Abschiebun­g von Straftäter­n und Gefährdern.“

Kultur, Wissenscha­ft und Hochschule­n Der Etat für Kultur soll schrittwei­se um 50 Prozent steigen. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es, die Gleichwert­igkeit von akademisch­er und berufliche­r Bildung durch den Deutschen Qualifikat­ionsrahmen herzustell­en. Garantien gibt es auch für die Finanzieru­ng der Hochschule­n. Im Koalitions­vertrag steht: „Wir sorgen mit einer verlässlic­hen Umsetzung des Zukunftsve­rtrags ‚Studium und Lehre stärken‘ und der Hochschulv­ereinbarun­g 2026 sowie einer dynamisier­ten Grundfinan­zierung dafür, dass die finanziell­en Grundlagen für mehr Dauerstell­en vorhanden sind.“Im Bereich Forschung soll NRW zu einem Spitzensta­ndort bei Künstliche­r Intelligen­z, Quantentec­hnologie, Cybersiche­rheit und Data Science ausgebaut werden. Dort sollen auch neue Professore­nstellen entstehen.

Bauen und Wohnen Die neue Koalition will das ökologisch­e und klimagerec­hte Bauen fördern. Der öffentlich­e Wohnungsba­u soll auf seinem bisherigen Niveau fortgeführ­t werden. Bis 2027 sollen 45.000 öffentlich geförderte Mietwohnun­gen entstehen.

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