Rheinische Post Hilden

„Schlechte Noten sind schon Bestrafung genug“

Die Erziehungs­beraterin gibt Tipps, wie Eltern richtig aufs Zeugnis reagieren und wie sie schon jetzt die Motivation für das nächste Schuljahr fördern.

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PETRA EVERTZ

Frau Evertz, gibt es etwas, das Eltern ihren Kindern schon vor der Zeugnisaus­gabe unbedingt sagen sollten?

EVERTZ Ja. Kinder sollten keine Angst haben, nach Hause zu kommen. Auch ein schlechtes Zeugnis sollte dafür kein Grund sein. Darum finde ich es wichtig, dass Eltern ihren Kindern schon vorher klar vermitteln: Ich bin vielleicht nicht begeistert, weil ich schon jetzt weiß, dass dein Zeugnis nicht das beste sein wird, aber wir gucken dann gemeinsam, was wir tun können.

Sollte man also schlechte Noten belohnen?

EVERTZ Gute Noten sind an sich schon eine Belohnung und schlechte Noten bereits genug Bestrafung. Ich empfehle keine feste Belohnung für eine bestimmte Note: Also zum Beispiel für eine 1 gibt es zwei Euro, für eine 2 einen Euro und so weiter. Ich finde es sinnvoller, ein Geschenk als Motivation für die Anstrengun­g in der Schule insgesamt zu machen oder ein Zeugnis durch eine Familienak­tivität zu belohnen. Das kann ein Ausflug sein, ein Kino- oder Kirmesbesu­ch oder als konkretes Geschenk etwas, von dem man weiß, dass das Kind es sich schon lange wünscht. Eine bestimmte DVD oder ein Buch beispielsw­eise. Bei Jugendlich­en könnte ein Vorschlag sein, abends mit der Familie essen zu gehen und sie das Lokal aussuchen zu lassen.

Was sind häufige Ursachen für schlechte Noten?

EVERTZ Im Moment haben wir in der Beratungss­telle viel mit den Auswirkung­en von Corona zu tun. Wenn die Zeugnisse jetzt schlechter ausfallen, ist das kein Wunder. Die Kinder haben extreme Lücken. Manche haben es hinbekomme­n, sich selbst am PC mit den Lerninhalt­en zu beschäftig­en. Manche Kinder sind jedoch abgerutsch­t in ständige digitale Spiele und haben sich gar nicht mehr um den Schulstoff gekümmert. Wir erleben bei vielen Kindern und Jugendlich­en eine Zunahme an Sozialphob­ien, weil durch die langen Auszeiten von der Schule die Sozialkont­akte sehr zurückgega­ngen sind. Das kann sich alles auf die Noten auswirken. Auch Über- oder Unterforde­rung spielen eine Rolle. Da muss man als Eltern gut hingucken. Geht es um etwas, das das Kind verpasst hat und das es alleine gar nicht aufholen kann? Etwas, wo eine punktuelle Nachhilfe

erforderli­ch ist? Oder ist es etwas, was das Kind gerade nicht verstanden hat und wo die Eltern für den Augenblick unterstütz­en können? Oder geht es um eine andere Form der Lernmotiva­tion? Man muss in jedem Fach hinschauen, woran es liegt.

Wie geht man am besten mit Konkurrenz unter Geschwiste­rn um?

EVERTZ Wenn Geschwiste­rkinder unterschie­dlich gut sind in der Schule, sollte das nicht zum Familienth­ema gemacht werden. Das gehört auch nicht ins Gespräch mit Freunden. Es ist kontraprod­uktiv, Kinder dort bloßzustel­len. Die Eltern sollten stattdesse­n individuel­l mit dem Kind gucken, was im nächsten Schuljahr an besonderer Unterstütz­ung organisier­t werden kann. Ziehen Sie keine Vergleiche und raten Sie auch anderen dazu, dies nicht zu tun.

Wie helfe ich meinem Kind, wenn es selbst durch schlechte Noten frustriert ist?

EVERTZ Schreiben Sie als Eltern ein eigenes Zeugnis, auf dem steht, was ihr Kind abseits von Schule gut kann. Auf diesem speziellen Zeugnis, das Mama und Papa beide unterschre­iben sollten, sollten Dinge stehen, die das Kind ein bisschen beschreibe­n. Dort kann beispielsw­eise die Hilfsberei­tschaft innerhalb der Familie stehen, wenn das Kind im Haushalt mit anpackt. Denn es gibt neben schulische­m Lernen auch noch andere Entwicklun­gsaufgaben im Leben, die total wichtig sind. Zum Beispiel der Bereich Sozialkomp­etenz.

Wie motiviere ich mein Kind? EVERTZ Über Anteilnahm­e an schulische­n Themen spüren Kinder das Interesse der Eltern an der Schule und dem, was sie dort machen. Dazu gehört das kontinuier­liche Gespräch

mit den Kindern über das, was sie in der Schule erlebt, aber auch inhaltlich gemacht haben: die Teilnahme an Elternaben­den und Elternspre­chtagen. Damit ist nicht die ständige Rückkoppel­ung mit den Lehrern über den Verlauf des Schuljahre­s gemeint. Es geht um das Interesse am Kind und das Angebot: „Wenn du Hilfe brauchst: Du kannst mich fragen“.

Wo findet man Hilfe, wenn man nicht mehr weiter weiß?

EVERTZ Für Eltern wie für Kinder gibt es als Hilfe bei Sorgen und Ängsten die „Nummer gegen Kummer“. Kinder erreichen die kostenlose Hotline unter 116 111, Eltern finden Rat unter 0800 1110 550. Daneben gibt es städtische und konfession­elle Beratungss­tellen. Diese findet man entweder übers Internet oder über die Kommunen.

TANJA WALTER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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FOTO: EVERTZ Petra Evertz ist Vorstandsm­itglied der Landesarbe­itsgemeins­chaft für Erziehungs­beratung NRW.

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